Mit seiner Nazi-Vergangenheit tat sich das Modeunternehmen Hugo Boss lange schwer. Die wildesten Gerüchte: Der Firmengründer sei Hitlers Leibschneider gewesen, auch die SS-Uniformen habe er entworfen. Stimmt das?
Metzingen - Der Komiker Russell Brand nimmt jede Pointe mit. So auch, als die Zeitschrift „GQ“ ihn 2013 zum „Mann des Jahres“ kürte. Während der Preisverleihung bedankte sich der Brite bei dem Modekonzern Hugo Boss, der die Veranstaltung sponserte – und sorgte breit grinsend für einen Eklat. „Wer sich mit der Geschichte und Mode etwas auskennt, wird wissen, dass Boss die Uniformen für die Nazis gemacht hat. Die Nazis hatten ihre Mängel, aber sie sahen verdammt gut aus, während sie Menschen aufgrund ihrer Religion und Sexualität getötet haben“, erklärte er – und verabschiedete sich mit dem Hitlergruß.
Ein PR-Debakel für das Metzinger Modeunternehmen, das sich mit seiner Geschichte ohnehin lange schwergetan hatte und dem seine NS-Vergangenheit vor allem in der englischsprachigen Presse immer wieder genüsslich um die Ohren geschlagen wird. Denn Brands Vorwürfe sind zwar nicht ganz richtig, aber eben auch nicht ganz falsch.
Boss produziert Uniformen für Wehrmacht, SA und SS
Die Metzinger produzierten tatsächlich Uniformen für SA, SS und Hitlerjugend. Seit 1924, wie in damaligen Werbeanzeigen stolz verkündet wurde, später auch für Waffen-SS und Wehrmacht. Die vermutlich den Totenkopfhusaren nachempfundenen Uniformen der SS, die in Modeschulen bis heute als „Meilenstein der Designgeschichte“ gepriesen werden und deren martialische Optik viele begeistert in Hitlers Leibgarde eintreten ließ, wurden allerdings nicht von Boss entworfen, wie oft behauptet. Auch dass er Hitlers Leibschneider gewesen sei, ist Unfug.
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Dafür war die Firma damals zu unbedeutend und selbst in Metzingen anfangs nur eine unter vielen. Profitiert hat Boss gleichwohl vom Dritten Reich. „Handelte es sich zu Beginn der 30er Jahre um einen kleinen Fertigungsbetrieb beziehungsweise eine bessere Schneiderei, so konnte sich Hugo Boss durch die gesteigerte Nachfrage nach Uniformen als Mittelständler etablieren und während des Zweiten Weltkriegs zum größten Textilunternehmen Metzingens aufsteigen“, schreibt Roman Köster in seiner 2011 erschienenen Studie.
Nach Boss’ Parteieintritt kommen die Aufträge von alleine
Köster ist der zweite Historiker, der sich im Auftrag der Hugo Boss AG an einer Aufarbeitung der NS-Geschichte des Modelabels versuchte. Eine erste Studie der Volkskundlerin Elisabeth Timm wurde nicht gedruckt. „Es fehlte die Einordnung in den historischen Kontext“, wie eine Unternehmenssprecherin damals erklärte. Doch auch Kösters Ergebnisse sind alles andere als schmeichelhaft für die Metzinger.
1924 hatte Hugo Ferdinand Boss das Unternehmen gegründet, doch die Weltwirtschaftskrise 1929 trifft auch die Textilindustrie hart. 1931 lässt sich der Konkurs nicht mehr vermeiden. Boss einigt sich mit seinen Gläubigern, bekommt ein paar Nähmaschinen gestellt und beginnt von vorne. Im gleichen Jahr tritt er in die NSDAP ein, und plötzlich kommen die Aufträge praktisch von allein. Vor allem für SA-Uniformen.
Knapp 150 Zwangsarbeiter und 40 Kriegsgefangene schuften bei Boss
„Das rapide Wachstum von NSDAP und SA, das mit einer steigenden Nachfrage nach Uniformen einherging“, habe das Bekleidungsunternehmen, das später zu einem internationalen Großkonfektionär werden sollte, gerettet, schreibt der Historiker Daniel Siemens in seinem Buch „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“. Mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vier Jahre später werden noch mehr Uniformen benötigt. Betrug der Umsatz der Firma 1932 noch magere 38 254 Reichsmark, steigt dieser bis 1940 auf mehr als eine Million. Auch dank der Ausbeutung von knapp 150 Zwangsarbeitern und 40 französischen Kriegsgefangenen.
In seinem Entnazifizierungsverfahren erklärt Hugo Boss, dass er in die NSDAP eingetreten sei, weil er sich von der Partei erhofft habe, dass sie etwas gegen die grassierende Arbeitslosigkeit unternehme. Boss wird daraufhin als belastet eingestuft. Nach dem Revisionsverfahren ist er auf einmal nur noch „Mitläufer“. Diesmal hatte er angegeben, dass er nur eingetreten sei, um Aufträge zu bekommen.
Erst die Enkel machen aus Boss das, was es heute ist
Der Versuch, den Parteieintritt mit rein ökonomischen Gründen zu erklären, ist gleichermaßen plump wie durchschaubar. Zumal die Nazis erst zwei Jahre nach seiner Aufnahme in die Partei die Macht übernehmen. So schreibt Köster: „Als unstrittig kann gelten, dass Hugo F. Boss nicht allein deswegen in die Partei eintrat, weil er sich Aufträge von der Partei versprach, sondern weil er Anhänger der Nationalsozialisten war.“ Dass Boss „wirtschaftlich von dem Aufstieg der NSDAP profitierte, dürfte in nicht unerheblichem Maße zu einer ‚innigen Nähe‘ zur ‚Bewegung‘ beigetragen haben.“ Der Sohn des Metzinger Kommunisten, Albert Fischer, erzählte dem dortigen Stadtarchiv: „Der alte Boss war ein Obernazi. Der hatte noch 1945 ein Bild in seiner Wohnung hängen, als er auf dem Obersalzberg war beim Führer.“
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Auch nach dem Krieg stellt Boss Uniformen her. Diesmal für die französischen Besatzer, wofür laut Köster auch ehemalige SS-Uniformen umgeschneidert werden. Erst unter seinen Enkeln Uwe und Jochen Holy wird das Unternehmen zu dem, was es heute ist: Ein international agierender Konzern mit einem Jahresumsatz von 2,9 Milliarden Euro.
Ein Konto in der Schweiz sorgt für Schlagzeilen
Zur Aufarbeitung der eigenen Firmengeschichte entschließt sich Boss erst 1997, als in der Schweiz ein Konto des Unternehmens aus der Nazizeit auftaucht. 2000 tritt die Firma der Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft zur Entschädigung von Zwangsarbeitern bei, denn ohne Hugo kein Boss. Ein Fazit, das Köster nicht ziehen will. ,,Gleichzeitig ist klar zu sagen, dass eine ursächliche Verknüpfung des eigentlichen Aufstiegs des Unternehmens seit den 1970er Jahren mit der Produktion während des Dritten Reiches aus unternehmensgeschichtlicher Perspektive nicht zu sehen ist“, schreibt er. Aus „unternehmensgeschichtlicher Perspektive“ sicher nicht, wie Timm, die Verfasserin der ersten Studie, damals in einer Rezension für die „Reutlinger Geschichtsblätter“ spitz anmerkt: Auf diesen Satz habe die Hugo Boss AG lange warten müssen: „Nun hat ihn endlich jemand geschrieben.“
Literatur
Roman Köster: „Hugo Boss, 1924– 1945. Die Geschichte einer Kleiderfabrik zwischen Weimarer Republik und ‚Drittem Reich‘“, C. H. Beck 2011.
Daniel Siemens: „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“, Siedler 2019.
Die Studie von Elisabeth Timm „Hugo Boss (1885–1948) und die Firma Hugo Boss. Eine Dokumentation“ finden Sie im Internet unter www.metzingen-zwangsarbeit.de/hugo_boss.pdf.