Zusammenarbeit ohne Abhängigkeit – im Umgang mit Peking ist mehr Mut und neues Denken notwendig, kommentiert Christian Gottschalk.
Stuttgart - Es ist nicht zu erwarten gewesen, dass die internationale Kritik etwas bewirkt. Am Donnerstag haben die Abgeordneten des chinesischen Volkskongresses das Sicherheitsgesetz für Hongkong verabschiedet. Eine Gegenstimme, sechs Enthaltungen und 2878-mal Zustimmung für die Regierungspläne sind ein eindeutiges Votum. Weniger eindeutig ist hingegen die Bewertung des umstrittenen Regelwerkes. China verteidigt es als Schutz gegenüber Terror, in Hongkong fürchtet man die stärksten Beschränkungen der Autonomierechte seit der Übergabe der ehemals britischen Kronkolonie 1997. Völlig unklar schließlich ist dem Rest der Welt, wie sie auf das chinesische Vorgehen reagieren soll. Das ist gleich ein mehrfaches Dilemma.
Vertragliche Rechte zugesichert
Spätestens im Jahr 2047 soll Hongkong eine chinesische Großstadt sein wie jede andere. Bis dahin hat China den Bewohnern zahlreiche Sonderrechte vertraglich eingeräumt. Peking scheint die noch ausstehenden 27 Jahre als ziemlich lang zu empfinden und verschärft zusehends den Druck zur Einheit. Ein Land, zwei Systeme – für Peking ist der erste Teil dieser Aussage das, was zählt. Eine Entwicklung, die in Taiwan mit besonderer Sorge beobachtet wird. Die Rhetorik gegenüber der Insel, die faktisch ein eigener Staat ist, aber von der Weltgemeinschaft nicht als solcher anerkannt werden darf, ohne es sich mit Peking zu verderben, nimmt verbal massiv zu. Viele fürchten, China teste mit seinem Vorgehen in Hongkong die Reaktionen der Welt, um dann auch Taiwan an das Festland zu binden. Aus der Luft gegriffen ist diese Befürchtung nicht.
Alte Muster greifen nicht mehr
Doch die Welt ist gespalten. Regelrechte China-Fans wie Serbien und Ungarn auf der einen Seite, Skeptiker wie Australien oder Kanada auf der anderen. Eines fällt auf: Der Ruf nach Maßnahmen wird umso lauter, je weiter der Rufer von Regierungsverantwortung entfernt ist. Kein Wunder: Das Grundmuster zum Bestrafen politischen Fehlverhaltens sind Wirtschaftssanktionen. Gegen die Wirtschaftssupermacht China ist das kein probates Mittel, zumindest dann nicht, wenn man Arbeitsplätze, Wohlstand und Wachstum im eigenen Land nicht gefährden möchte. Der moralischen Pflicht zum Handeln steht die praktische Schwierigkeit gegenüber, mit den bisherigen Mitteln etwas auszurichten. Deswegen ist es umso wichtiger, vieles neu zu denken. Die Wirtschaft muss weiter mit China zusammenarbeiten und gleichzeitig neue Wachstumsmärkte erschließen sowie die europäischen Zusammenschlüsse voranzutreiben, um China auch auf dem Weltmarkt gegenübertreten zu können. Politisch gilt es, China in internationale Organisationen mehr einzubinden – und gleichzeitig politisch durchaus auch die Themen deutlich zu artikulieren, von denen man weiß, dass sie in Peking nicht auf Zustimmung stoßen. China testet die Reaktionen der Welt – der Gegentest ist geboten.