„Geistiger Schaden“: Sportmoderator Jochen Breyer interviewt den katarischen WM-Botschafter Khalid Salman Foto: dpa/Mateusz Smolka

Homosexuelle Menschen werden in Katar als sündhaft und abartig verfolgt. Aktivisten erhöhen nun den Druck auf die Veranstalter. Das gefällt nicht jedem.

Der katarische Mediziner Nasser Mohamed wollte seine Homosexualität nicht länger verstecken. Er gab seinen Besitz in der Heimat auf, kappte Beziehungen zu Familie und Freunden – und lebt inzwischen in San Francisco. In sozialen Medien und in Interviews berichtet Nasser Mohamed von seiner Geschichte. „In Katar versucht man, unsere Existenz zu zensieren“, sagte er der BBC. „Als schwuler Mann lebt man dort in ständiger Angst. Man muss jeden Schritt des Tages gut planen, um sich nicht aus Versehen selbst zu outen. Damit würde man sein Leben riskieren.“

 

Katar zählt zu den weltweit 69 Staaten, in denen queere Menschen mit Verfolgung rechnen müssen. Nach Artikel 285 des katarischen Strafgesetzbuches wird außerehelicher Sex, einschließlich gleichgeschlechtlicher Beziehungen, mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft. In der ZDF-Dokumentation „Geheimsache Katar“ gab der WM-Botschafter Khalid Salman nun Äußerungen von sich, die bei vielen Katarern wohl Zustimmung finden dürften. Im Zusammenhang mit Homosexualität sprach er von einem „geistigen Schaden“. Nun wollen Aktivisten in den verbleibenden Wochen bis zum WM-Finale die Aufmerksamkeit gegen Homophobie weiter erhöhen.

Queere Menschen werden geschlagen und gedemütigt

Zu diesen Aktivisten gehört Nasser Mohamed, der für einen Report von Human Rights Watch Kontakte zu Opfern hergestellt hat. Die Menschenrechtsorganisation befragte einen schwulen Mann, eine bisexuelle Frau und vier Transgender-Frauen aus Katar. Alle sagten aus, dass sie von katarischen Beamten zeitweilig in einem unterirdischen Gefängnis in Doha festgehalten worden seien. Die Fälle ereigneten sich offenbar zwischen 2019 und September 2022.

Im Bericht schildern die Opfer, dass sie zum Teil geschlagen, gedemütigt und verbal belästigt worden seien. Einige von ihnen erhielten offenbar keinen Zugang zu Rechtsbeistand und medizinischer Versorgung. Die Betroffenen mussten offenbar die Verpflichtung eingehen, fortan „unmoralische Aktivitäten einzustellen“. Eine Anklage wurde gegen sie nicht erhoben. „Die Sicherheitskräfte sind offenbar zuversichtlich, dass ihre willkürlichen Übergriffe nicht gemeldet und nicht kontrolliert werden“, sagt Rasha Younes von Human Rights Watch. Das katarische Innenministerium wies die Vorwürfe zurück. Ausländer sind offenbar weniger betroffen. 1996 wurde laut dem US-Außenministerium ein amerikanischer Staatsbürger in Doha zu Peitschenhieben verurteilt. Zwei Jahre später wurden mehrere schwule Arbeiter aus den Philippinen ausgewiesen. 2016 soll ein polnischer Social-Media-Aktivist wegen Homosexualität in Haft gewesen sein.

Die Reichen aus dem Westen werden in Katar in Ruhe gelassen

Möglicherweise setzt der katarische Staat auch bei diesem Thema unterschiedliche Maßstäbe. Human Rights Watch hat Kenntnis von sieben inhaftierten Lesben und Schwulen aus Marokko, Nepal und den Philippinen. Also aus Ländern, aus denen Hunderttausende Migranten stammen, die in Katar für wenig Geld hart arbeiten müssen. „Der Staat überwacht offenbar soziale Medien und prüft Botschaften, die von queeren Menschen kommen könnten“, sagt Piara Powar vom Fußball-Antidiskriminierungsnetzwerk Fare. „Es soll auch eine informelle Telefon-Hotline geben. Dort können Verwandte und Freunde bestimmte Personen an die Behörden melden. Und der Staat kann dann gegen sie vorgehen.“

Die Wohlhabenden und Reichen aus dem Westen, die auf „The Pearl“, einer künstlichen Insel in Doha mit Restaurants und Cafés leben, sind gelassen. Queere Personen bestätigen in Hintergrundgesprächen, dass sie in Ruhe gelassen werden, solange ihre Homosexualität Privatsache bleibt. Grundsätzlich sei Körperlichkeit in Katar in der Öffentlichkeit verpönt, auch zwischen Frauen und Männern. Doch außerhalb der liberalen Rückzugsorte bleibt das Thema tabu. Eine Beraterin des katarischen Außenministeriums bezeichnete Homosexualität in einer arabischsprachigen Zeitung als „schwere Sünde“. In Online-Medien wurde diskutiert, für Touristen einen Test für die sexuelle Orientierung einzuführen. Es sind Aussagen, die in Teilen der traditionalistisch geprägten Gesellschaft Anklang finden. 2020 wollte die US-amerikanische Universität Northwestern in Doha ein Konzert mit einer libanesischen Rockband veranstalten. Die Empörung über deren schwulen Sänger war so groß, dass die Uni das Konzert absagte.

In Katar gilt Homosexualität als Schwäche

Die Regierung will solche Kontroversen wohl auch mit Zensur vermeiden. Mehrfach waren Online-Artikel des Portals „Doha News“ oder der „New York Times“ über Homophobie in Katar nicht mehr abrufbar. Selbst moderate katarische Politiker, die in den USA studiert haben, vermeiden eine Positionierung. Wohl auch, weil sie gegenüber ihren Rivalen in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht als schwach gelten wollen, sagt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons: „Die gesellschaftlichen Strukturen am Golf sind männerdominiert und stark von Geschlechtertrennung geprägt. Man möchte ein gewisses Männlichkeitsideal ausstrahlen.“ Das betrachtet Homosexualität offenbar als Schwäche.

Sebastian Sons plädiert jedoch für eine differenzierte Debatte. Man dürfte den Islam keinesfalls pauschal als homophobe Religion bezeichnen. Jahrhundertelang fanden auch homoerotische Vorstellungen Eingang in Lieder und Gedichte arabischer Autoren. Bis ins 19. Jahrhundert hinein galten etliche Gesellschaften im Nahen und Mittleren Osten als freizügig und zwanglos. Die Prüderie verstärkte sich erst mit den Kolonialmächten in die Region, schreibt der Arabist Thomas Bauer in seinem Buch „Die Kultur der Ambiguität.“

Betroffene raten von Aktionismus während der WM ab

Die Weltmeisterschaft intensiviert nun die Debatte über Homophobie in der Golfregion. Eine Allianz aus internationalen NGOs möchte aufklären und den Druck auf die Fifa erhöhen. Erst Ende Oktober protestierte der britische Aktivist Peter Tatchell vor dem Nationalmuseum in Doha gegen die queerfeindliche Gesetzgebung. Schnell verbreitete sich die Meldung in sozialen Medien, er sei verhaftet worden. Später stellte sich heraus, dass sein Protest von Sicherheitskräften lediglich gestoppt wurde.

Es ist gut möglich, dass die katarische Polizei Proteste wie diese in den kommenden Wochen weitgehend dulden wird. So ähnlich hatten es auch Behörden in Russland während der WM 2018 praktiziert. Doch schon bald nach der Abreise der internationalen Journalisten verschärfte der Kreml die Repression gegen die Zivilgesellschaft. Daher sei die Abstimmung mit katarischen Aktivisten wichtig, sagt Leo Wigger, Nahostforscher und Co-Autor eines Buches über die WM: „Mitunter können Protestaktionen kontraproduktiv sein und das Leben der Betroffenen vor Ort noch schwerer machen.“

So wollte die englische Fußballikone Gary Lineker schwule Profis im Boulevardblatt „Daily Mirror“ zu einem Coming-out während der WM ermuntern. In sozialen Medien kritisierten Aktivisten diesen Vorstoß als Effekthascherei, die queere Menschen in Katar nicht weiterbringt.

Homosexualität als „gefährliche Ideologie“

Auch die Fifa hält sich bedeckt. 2021 bezeichnete die ägyptische Fußballikone Mohamed Aboutrika in einem katarischen Fernsehsender Homosexualität als „gefährliche Ideologie“. Aboutrika erhielt in der arabischen Welt viel Unterstützung, unter anderem von Mahmoud al-Mardi, dem Kapitän der jordanischen Nationalmannschaft. Eine deutliche Distanzierung von Fifa und WM-Organisation blieb aus. Auch wegen solcher homophoben Aussagen verließ der Arzt Nasser Mohamed seine Heimat Katar. Gegenüber der BBC schilderte er ein weiteres Problem: Katarer hätten es im Asylverfahren schwer, ihre Homosexualität als Grund der Verfolgung zu beweisen. Nasser Mohamed will weiter aufklären. Er sagt, er habe dafür auch viel Zustimmung erhalten.