Den Schwerbehindertenausweis erhält man ab einem Grad der Behinderung von 50. Foto: BMAS

Nicht nur die Bearbeitungszeiten des Versorgungsamts Stuttgart sollen ein Problem sein, sondern auch die Bearbeitungsqualität. Das kritisieren Schwerbehindertenvertreter. Viele Fälle landen vor Gericht.

Stuttgart - Hat das Versorgungsamt Stuttgart eine hohe Fehlerquote bei den Bescheiden? Diesen Vorwurf erheben Schwerbehindertenvertreter von Stuttgarter Unternehmen. Nicht nur die lange Verfahrensdauer von im Schnitt fünf Monaten sei ein Problem, sondern auch die Bearbeitungsqualität lasse zu wünschen übrig. Zum Teil „krasse Bewertungsfehler“ beklagt Wolfgang Hoepfner, der Schwerbehindertenbeauftragte der Stuttgarter Straßenbahnen AG. Das Problem soll in einem Arbeitskreis von Stuttgarter Schwerbehindertenvertretern schon besprochen worden sein.

„Alle Versorgungsämter spielen auf Zeit und auf das Unwissen der angeschlagenen Menschen“, sagt auch Wolfgang Uhl, Schwerbehindertenvertreter bei der EnBW. „Überall muss ich in Widerspruch gehen“, klagt er. Die Mindestwerte aus der Versorgungsmedizin-Verordnung würden in den Bescheiden oft nicht eingehalten – das berichten sowohl Hoepfner als auch Uhl, die den Vorwurf mit Beispielen unterlegen.

Wie im Fall eines Mitarbeiters der SSB, der einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 wegen eines Blasentumors hatte. Ihm habe der Sachbearbeiter des Stuttgarter Versorgungsamts nach der anstehenden Überprüfung – trotz gleichbleibendem GdB – den Schwerbehindertenstatus aberkannt. Dabei erhält man ab dem GdB von 50 immer einen Schwerbehindertenausweis. Darauf hingewiesen habe das Versorgungsamt den Wert auf 20 gesenkt. Der Fall landete vor dem Sozialgericht – der Kläger habe den GdB 60 zugesprochen bekommen. „Wir gehen bei 90 Prozent der Bescheide in den Widerspruch“, berichtet Hoepfner – bei zwei Drittel hätten sie zumindest einen Teilerfolg.

Förderung der Betroffenen liegt erstmal auf Eis

Tobias Thym, er ist Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Daimler-Werk Untertürkheim, schließt sich der Kritik an der Bearbeitungsqualität an. Die Betroffenen seien auf die Nachteilsausgleiche angewiesen – „bereits bei der Antragsstellung“. Der Schwerbehindertenvertreter weist auf die Folgen für die Betroffenen hin, wenn sie erst Widersprich einlegen müssten: eine noch längere Bearbeitungszeit. „Fälle in denen die Bearbeitung weit über sechs Monate dauert, dann erst mit Widerspruch und Begründung, mit weiterer Bearbeitungszeit, häufen sich leider“, so Thym.

Für die Einzelnen seien die Konsequenzen groß, würden Anträge fälschlicherweise abgelehnt, betont zudem Höpfner. Eine Förderung der Beschäftigten mit Behinderung und weitere Maßnahmen könnten erst starten, wenn ein Widerspruch erfolgreich war.

Widerspruch gegen 16,92 Prozent der Bescheide

„Das Versorgungsamt nimmt nicht in Anspruch, dass es stets fehlerfrei arbeitet“, nimmt Rebecca Kottmann, die Sprecherin des Landratsamts Böblingen, das für das Versorgungsamt Stuttgart zuständig ist, zu den Vorwürfen Stellung. Die Pauschalkritik weist sie aber zurück. Das Landratsamt kontert mit der Statistik: Im Jahr 2018 sei gegen 16,9 Prozent der Bescheide Widerspruch eingelegt worden. Damit liege das Versorgungsamt zwar über dem Landesdurchschnitt (13,2 Prozent), die höhere Quote sei aber typisch für Ballungsräume, erklärt Kottmann. Hier seien einige Nachteilsausgleiche wichtiger, wie die Vergünstigung im öffentlichen Nahverkehr oder der Behindertenparkausweis. Die Erfolgsquote liege im Landesschnitt, so die Sprecherin, die Mehrheit (67,3 Prozent) der Widersprüche sei erfolglos. 459 Klagen gegen erfolglose Widersprüche führt das Landratsamt zudem an. Etwas mehr als die Hälfte der Kläger (51,4 Prozent) hatte vor dem Sozialgericht Erfolg.