Schlaglöcher: Davon gibt's immer mehr. Foto: dpa

Autofirmen wie Daimler nutzen schlechte Landesstraßen als Modell für ihre Stoßdämpfertests

Stuttgart - Schlaglöcher beschädigen Autos, gefährden die Sicherheit und beeinträchtigen den Fahrkomfort: Darüber sind sich alle Verkehrsexperten einig. Doch eine gute Seite haben die Holperpisten: Sie helfen den Autobauern dabei, die Fahrwerke zu verbessern.

Die Anfrage mutete etwas seltsam an: Vor ein paar Wochen erkundigte sich die Firma Daimler beim Verkehrsamt des Enzkreises, ob sie wohl die Landesstraße 1175 für eine Weile in Beschlag nehmen dürfe. Amtschef Oliver Müller war zunächst irritiert - die Strecke zwischen Heimsheim und Friolzheim ist schließlich öffentlich, und darauf fahren täglich jede Menge Mercedes-Limousinen.

Doch den Autobauern aus Sindelfingen ging es nicht um eine Privatroute zur nahen A8, sie waren vielmehr auf die schönen Schlaglöcher der Strecke scharf: Die L 1175 gilt schließlich als eine der schlimmsten Holperpisten im ganzen Land. Sie liefert damit also Bedingungen, die wie geschaffen sind für einen Premiumhersteller, der seine Karossen auf den Umgang mit der harten Verkehrswirklichkeit vorbereiten will.

Kurzum: Daimler wollte von der Straße einen digitalen Abdruck nehmen, um bei der Fahrwerkabstimmung im Sindelfinger Simulator möglichst wirklichkeitsnahe Verhältnisse zu haben. Solche eingescannten Oberflächenreliefs seien in der Automobilentwicklung durchaus üblich, sagen Branchenkenner. Referenzstrecken nennen die Fachleute das.

Natürlich kann man Schlaglöcher in den High-Tech-Labors auch nachstellen. Feldwege, Kopfsteinpflaster - der Computer kann fast alles, was man ihm sagt. Doch eine echte schwäbische Buckelpiste mit bröckelnden Fahrbahnrändern und knöcheltiefen Löchern ist etwas Besonderes: Dazu bedarf es eines konsequenten jahrelangen Sanierungsstaus. Im Fleischerhandwerk würde man sagen: gut abgehangen.

Daimler kennt viele andere Holperstrecken im Land

Daimler kam dann auf der L 1175 doch nicht zum Zug, denn das Straßenbauamt hätte die Strecke dafür eine Weile sperren müssen. "Da war einfach zu viel los", sagt Amtschef Müller, "die Straße musste den Umleitungsverkehr der Autobahnbaustelle aufnehmen." Außerdem haben seine Leute den Abschnitt kurzfristig geflickt. Die schönen Schlaglöcher waren verschwunden.

Müssen Mercedes-Liebhaber also nun damit rechnen, dass ihre Limousinen künftig weniger komfortabel durch die Lande rauschen? Das wohl nicht. Ein Daimler-Sprecher lässt erkennen, dass man in Sindelfingen auch andere schöne Holperpisten im Südwesten kennt. Details sind natürlich Betriebsgeheimnis.

Einen wahren Leckerbissen könnten die Ingenieure gleich neben der L1175 finden: Zwischen Heimsheim und Friolzheim biegt die L 573 in Richtung Tiefenbronn ab, und die trägt sogar den offiziellen Titel "schlechteste Landesstraße Baden-Württembergs". Eine Jury mit Vertretern des Automobil Clubs Europa, des Instituts für Verkehr und Umwelt sowie der IG Bau hat sie Anfang Dezember in diesen Rang erhoben, nachdem sie die Straßenschäden vor Ort unter die Lupe genommen hatte.

Verkehrsamtsleiter Müller hält jedoch nicht viel von dieser Wertung: "Wir haben noch viel mehr im Angebot von derselben Qualität." Die Autoingenieure wird's freuen. Überhaupt sollten sie bei der Landtags-SPD einmal die Liste mit den schlechtesten Straßen im Südwesten anfordern. Der Abgeordnete Hans-Martin Haller hat sie anhand von 140 Zuschriften auf seine Aktion "Holterdipolter" erstellt. Kleiner Tipp: Nicht der Enzkreis, sondern der Kreis Göppingen gilt als derjenige mit den schlechtesten Straßen im Land.