Mordechai Ciechanower hat fünf Konzentrationslager überlebt, darunter das in Hailfingen/Tailfingen im Kreis Böblingen. Noch im Jahr 2014 war er für Dreharbeiten Deutschland. Nun ist der 100-Jährige in Israel gestorben.
Am 27. Februar hätte er seinen 101. Geburtstag gefeiert. Nun ist der letzte Überlebende des einstigen KZ-Außenlagers Hailfingen/Tailfingen, Mordechai Ciechanower, in seiner Wahlheimat Israel gestorben. Nach seiner Befreiung am 15. April 1945 hatte sich Ciechanower geschworen, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Diesen Schwur hat er allerdings vor einigen Jahren gebrochen.
Mordechai und seine Familie wurden nach Auschwitz deportiert
Mordechai Ciechanower hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seine Geschichte an nachfolgende Generationen, vor allem jüngere Menschen, weiterzugeben. Dafür kam er auch wiederholt nach Tailfingen, wo er Erinnerungstafeln einweihte, KZ-Mithäftlinge wiedertraf und der örtlichen Bevölkerung vom Schrecken in ihrer unmittelbaren Umgebung berichtete. Mordechai Ciechanower wurde 1924 in Maków Mazowiecki nördlich von Warschau geboren. Seine Muttersprache war Jiddisch. Seine glückliche Kindheit wurde durch den deutschen Einmarsch im Jahr 1939 jäh beendet. In der Kleinstadt wurde ein Ghetto errichtet und die christliche von der jüdischen Bevölkerung durch einen Zaun getrennt. Auf Zwangsarbeit und Demütigungen folgte die Deportation ins Durchgangslager Mława. Mordechai Ciechanower, seine beiden Schwestern und Eltern wurden nach Auschwitz deportiert. Seine Mutter und seine Schwestern wurden sofort vergast. Mit seinem Vater durchlitt der 18-Jährige schwierige Zeiten im Außenlager Buna-Monowitz, wo Tausende Häftlinge auf Baustellen der IG Farben eingesetzt wurden. Als der Vater mit abgefrorenen Händen ins Krankenrevier kam, trennten sich ihre Wege.
Mordechai Ciechanower war in fünf Konzentrationslagern
Vater und Sohn überlebten wie durch ein Wunder
Ciechanower wurde danach im Dachdecker-Kommando des Vernichtungslagers Birkenau eingesetzt. Nach knapp zwei Jahren in Auschwitz wurde er über Stutthof nach Hailfingen deportiert. Dort herrschten katastrophale hygienische Zustände. „Wir haben nichts gegessen, aber die Läuse haben uns gegessen, “ erzählte er bei einem Besuch in Deutschland. Vor Hunger habe er verschimmelte Äpfel verspeist, die am Wegesrand lagen. Die letzte Station nach einer schlimmen Zeit im „Wüste“-Lager Dautmergen hieß Bergen-Belsen. In dem Lager nördlich von Hannover starben rund 60 000 Häftlinge. Auf 35 Kilogramm abgemagert überlebte der 21-Jährige wie durch ein Wunder.
Im DP-Lager (displaced persons, unerwünschte Personen) Feldafing traf er nach dem Krieg seinen Vater wieder, der ebenfalls überlebt hatte. Gemeinsam flohen sie mithilfe der Jüdischen Brigade, verkleidet als britische Soldaten, nach Israel. Obwohl diese Zeit mehr als 80 Jahre zurückliegt und sich Ciechanower mit Frau und Kindern ein neues Leben aufgebaut hatte, spielte seine Vergangenheit für ihn eine große Rolle. Bis zum Schluss konnte sich Ciechanower an die Zeit in den KZ, auch an die Monate in Hailfingen/Tailfingen erinnern. Seine Tätowierung mit der KZ-Nummer 81434 trug er bis zuletzt.
Ein Apfelbaum für Ciechanower
Noch im Jahr 2014 reiste der Zeitzeuge für Dreharbeiten zum Dokumentarfilm „Der Dachdecker von Birkenau“ nach Deutschland. Für den Film besuchte der damals 89-Jährige Konzentrationslager, in die er verschleppt wurde. Zu Ehren von Ciechanower wurde 2023 an der KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen ein Apfelbaum gepflanzt, als Symbol der Hoffnung. Mit großem Bedauern nahm Benjamin Merkt, der Vereinsvorsitzende der KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen, die Todesnachricht entgegen: „Die KZ-Gedenkstätte hat ihren Wegbereiter verloren, ich einen Freund.“