Charlotte Fricke erzählt den Schülern von dem KZ-Überlebenden Rolf Abrahamson Foto: Alessa Becker

Die Mitglieder des Vereins Heimatsucher sammeln Geschichten von Holocaustüberlebenden, damit sie diese weitertragen können. Die Schüler des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums in Filderstadt tun daraufhin etwas Rührendes.

Sielmingen - Nebelschwaden ziehen an diesem Morgen durch Filderstadt, und im Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium sehen viele Gesichter zur ersten Stunde noch müde aus. Doch dann beginnt Lukas Trautmann zu erzählen, und fast alle Schüler hängen gebannt an seinen Lippen. Er erzählt die Geschichte eines jüdischen Mannes, Rolf Abrahamson, der während des Zweiten Weltkriegs sieben Konzentrationslager überlebt hat. Er ist der einzige Überlebende aus seiner Familie. „Rolf Abrahamson ist nun 92 Jahre alt, selbst in die Schule zu kommen und von den schrecklichen Erlebnissen zu berichten, wäre für ihn zu anstrengend“, sagt Trautmann. Aber dafür sei er ja da, um die Geschichten von Abrahamson und vielen anderen weiterzutragen.

Der 24-Jährige engagiert sich ehrenamtlich im Verein Heimatsucher, dessen Mitglieder Geschichten von Holocaustüberlebenden dokumentieren. Ursprünglich ist der Verein aus einem Fotoprojekt von Mediendesign-Studenten entstanden. Seit dem Beginn des Studienprojekts im Jahr 2010 hat er mehr als 130 Mitglieder gewonnen. „Wenn wir die Geschichten der Überlebenden erzählen, werden wir zu Zweitzeugen“, erklärt Lukas Trautmann. Natürlich könne er dabei oft nicht vermeiden, dass Detailwissen verloren gehe. „Es geht uns nicht um Faktenwissen aus dem Geschichtsunterricht, sondern darum, die Emotionen hinter einem Einzelschicksal zu transportieren, ohne auf die Tränendrüse zu drücken.“

Die Geschichten sind emotional, aber nicht blutig

Etwa 90 Schüler der Jahrgangsstufe zwölf des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums sollen in kleineren Gruppen die Geschichten anhören. „Das Grundlagenwissen haben sie schon im Geschichtsunterricht durchgenommen, und die Geschichten sind jetzt noch mal ein ganz anderer Weg, an das Thema ranzugehen“, sagt die Lehrerin Miriam Schwarz, die Lukas Trautmann und seine Kollegin Charlotte Fricke an die Schule geholt hat.

Lukas Trautmann studiert Ethnologie und Bildungswissenschaften, Charlotte Fricke ist eigentlich Grundschullehrerin. Für die ehrenamtliche Arbeit im Verein wird sie von ihrer Schule tageweise freigestellt. „Da unsere Geschichten emotional, aber nicht zu blutig sind, kann ich sie auch Grundschülern erzählen, die noch gar nicht so viel geschichtliches Hintergrundwissen haben“, sagt sie. Miriam Schwarz selbst engagiert sich im Verein und hat schon viele Geschichten von Zeitzeugen gehört. „Ich finde es wichtig, dass die Geschichten nicht mit den Zeitzeugen sterben, denn was damals passiert ist, darf nicht in Vergessenheit geraten“, sagt sie.

Die persönliche Begegnung mit der Geschichte sei viel wert, um den Schülern die damalige Situation vor Augen zu führen. Im Zuge des Projekts behandelt sie mit ihnen auch das Thema Rassismus im Allgemeinen. „Wenn rechte Parteien in Deutschland heute immer stärker werden, ist es umso wichtiger, bei jungen Leuten Aufklärung zu leisten“, sagt sie.

Die Schüler schreiben einen Brief an den Zeitzeugen

„Ich finde es vor allem beeindruckend, zu hören, wie die Überlebenden nach diesen furchtbaren Erfahrungen weiterleben und sich ein ganz neues Leben aufbauen konnten“, sagt Lea. Die 17-jährige Schülerin ist schockiert von der Lebensgeschichte des Rolf Abrahamson und schreibt gemeinsam mit Klassenkameraden am Ende einen Brief an ihn. „Für die Überlebenden ist es gut, mitzuerleben, wie ihre Geschichte bei den Schülern angekommen ist, obwohl sie selbst nicht vor Ort waren“, sagt Miriam Schwarz. Und Lea ist stolz, die Geschichte nun auch weitererzählen zu können.