Erinnerungskultur: Bundestagspräsidentin Bärbel Bas Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Erstmals hat der Bundestag diejenigen in den Mittelpunkt gestellt, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden – und das noch lange nach Kriegsende.

Im Bundestag ist es beklemmend still, als Schauspieler Jannik Schümann zum Rednerpult tritt und anfängt zu sprechen: „Lieber Karl Gorath, eigentlich solltest du hier stehen und berichten“, sagt Schümann. Aber es habe nicht gereicht. Deswegen stehe er heute hier und erzähle Goraths Geschichte. Dieser wurde 1939 von den Nationalsozialisten verurteilt und später in ein Konzentrationslager deportiert – wegen seiner Homosexualität. Nach seiner Befreiung wurde er 1946 von demselben Richter verurteilt, der ihn bereits während des NS-Regimes bestraft hatte. Noch immer, weil er schwul war. 2003 starb Gorath.

Seine Geschichte war Teil einer emotionalen Gedenkstunde, mit der der Bundestag am Freitag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnerte. Im Mittelpunkt standen zum ersten Mal Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Rund 50 000 Männer sind in der NS-Zeit wegen ihrer Homosexualität zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, mindestens 6000 wurden in Konzentrationslagern ermordet.

An der Sonderveranstaltung des bundesweiten Holocaust-Gedenktags nahmen unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz teil. Die Schauspieler Jannik Schümann und Maren Kroymann stellten die Lebensgeschichte zweier Menschen vor, die von den Nazis wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Einer davon Karl Gorath. Der Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt, galt in beiden Teilen Deutschlands noch weit nach 1945. „In der Bundesrepublik bis 1969 sogar in der Fassung der Nationalsozialisten“, so Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Vollständig gestrichen wurde der Paragraf erst 1994.

Gleiche Anerkennung für alle NS-Opfer gefordert

Mit Blick auf die heutige Ausgrenzung und Gewalt gegen Homosexuelle sagte auch die Holocaust-Überlebende Rozette Kats: „Jeder Mensch, der heute verfolgt wird, hat Anspruch auf unsere Anerkennung und unseren Schutz.“ Zuvor hatte die 80-Jährige dazu aufgerufen, alle Opfergruppen des Nationalsozialismus gleichermaßen anzuerkennen. Jeder Mensch, der damals verfolgt wurde, verdiene achtungsvolle Erinnerung, sagte die Niederländerin, die in einer jüdischen Familie geboren wurde und das NS-Regime nur überlebte, weil ein Ehepaar in Amsterdam sie als ihr eigenes Kind ausgab. Ihre leiblichen Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Am Ende ihrer Rede sprach Bundestagspräsidentin Bas im Bundestag auch über die heutige Zeit und mahnte, bei Diskriminierungen queerer Menschen genauer hinzuschauen. Sie forderte alle auf, gegen Diskriminierung aufzustehen.