Neunt- und Zehnklässler der Schiller Realschule Göppingen haben beim Holocaust-Gedenktag vor Diskriminierung gewarnt. Ein neues Buch erinnert an jüdische Opfer.
Göppingen - Lea und Eloma haben die Besucher im Göppinger Schlossgarten mit ihrem Gesang berührt. Die beiden Zehnklässlerinnen der Schiller Realschule trugen eine selbst getextete Version des Leonhard-Cohen-Songs „Hallelujah“ vor. Darin besangen sie das Leid der Göppinger Bürger jüdischen Glaubens, die im November 1941 vor der Deportation ins Rigaer Ghetto im Turnsaal der Schule zusammengetrieben worden waren. Immer am 27. Januar, an dem sich die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz jährt, wird in Göppingen an die Opfer des Holocaust erinnert. An die diesjährige Gedenkfeier schloss sich nun eine Buchpräsentation an.
Es ist kein Schlussstrich möglich, sagt der Oberbürgermeister
„Unter diesen Teil unserer Geschichte lässt sich kein Schlussstrich ziehen“, erklärte zuvor der Oberbürgermeister Guido Till vor dem Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft im Göppinger Schlossgarten. Till erinnerte an diese besondere Verantwortung, denn „auch hier geschah dieses Unrecht unter den Augen der Göppinger Bürger“. Gemeint sind damit nicht nur die Deportationen Göppinger Bürger in den Jahren 1941 bis 1945, sondern zuvor schon die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung und ihre Degradierung zu Menschen einer „minderwertigen Rasse“ durch die Nürnberger Gesetze von 1935. Schließlich folgte auf die Diskriminierung mit der Pogromnacht 1938, bei der das jüdische Gotteshaus an der Freihofstraße in Brand gesteckt, am Kaufhaus von Georg Lendt in der Marktstraße die Schaufenster eingeschlagen und zudem das Hotel Dettelbacher am Bahnhof demoliert wurden, die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben.
Schüler warnen vor Diskriminierung und Ausgrenzung
„Ausgrenzung beginnt im Alltag und in der Schule, gestern und heute. Am Anfang steht die Diskriminierung. Die Mehrheit gibt einen Standard vor, dem man entsprechen soll“, erklärten Schüler der drei neunten Klassen der Schiller-Realschule bei der Gedenkveranstaltung mögliche Mechanismen des Zusammenlebens, denen sie widerstehen wollen. Auf mitgebrachten Schildern warnten sie vor Hass, Islamfeindlichkeit, Verachtung, Diskriminierung und Christenverfolgung. Mit Beifall wurde der Appell quittiert: „Diskriminierung soll nicht Teil unseres Alltags sein, damit sich das Schicksal nicht wiederholt“.
Auf das Gedenken im Schlossgarten folgte diesmal noch ein Zusammentreffen im Silbersaal des Schlosses, bei dem der Verein Initiative Stolpersteine Göppingen ein neues Buch vorstellte mit dem Titel „Hier lebte... Stolpersteine in Göppingen“. Stolpersteine bezeichnet ein Langzeitprojekt des deutschen Künstlers Gunter Demnig, der seit 1995 Erinnerungssteine für Menschen verlegt, die von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet wurden.
Die Schicksale von 97 Verschleppten sind im Buch nachzulesen
Demnig versieht die Steine mit einer Messingplatte mit Namen und Lebensdaten der Ermordeten und lässt die Steine in den Boden vor dem letzten Wohnhaus der Verfolgten ein. Auf Initiative von Göppinger Bürgern war Demnig bereits viele Male in der Stadt tätig. Seit 2005 wurden, teils mit Hilfe des städtischen Betriebshofs, 98 Steine als Mahnmale in Göppingen verlegt. Insgesamt sollen es 56 000 Mahnmale in 1099 Orten in Deutschland und zwanzig weiteren europäischen Ländern sein.
Bevor es in Göppingen so weit kam, recherchierten die hiesigen Aktivisten um ihren Sprecher Klaus Maier-Rubner die Schicksale von 97 Verfolgten, die im Buch porträtiert werden. Die mühevolle Arbeit führte sie ins städtische Archiv, ins Staatsarchiv Ludwigsburg und zu zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen, von denen inzwischen aber leider einige bereits verstorben seien, wie Maier-Rubner erklärte. Vor allem auch mit Blick auf die Angehörigen der nächsten Generationen, von denen viele des Deutschen nicht mehr mächtig seien, habe man das Buch in englischer und deutscher Sprache verfasst.
Maier-Rubner bedankte sich bei den engagierten Mitgliedern der Stolperstein Initiative, dem Autorenteam, Stadtarchivar Karl-Heinz Rueß und Wolfram Hosch, der das städtische Kulturreferat leitet, für die ideelle und finanzielle Unterstützung.