Bilder von der aktuellen Tour gibt's hier. Foto: dpa

Der Ex-Gerolsteiner-Teamchef über Doping, die Faszination der Tour, seinen ersten Schultag.

Stuttgart - Mit Interesse verfolgt Hans Holczer, einst Chef des Gerolsteiner-Rennstalls, den Zweikampf zwischen Andy Schleck und Alberto Contador um den Sieg bei der Tour de France - aber auch mit gemischten Gefühlen: "Schleck fährt so stark, dass es schon beunruhigend ist."

Hallo, Herr Holczer, alles positiv heute?

Sicher, ich saß schon um 6.30 Uhr auf meinem Rennrad, war fast sieben Stunden unterwegs. Was soll die Anspielung?

Sie haben ein Buch geschrieben, das im August erscheint und "Garantiert positiv" heißt. Welche Enthüllungen dürfen wir erwarten?

Keine, sonst würde ich mir ja selbst widersprechen und mehr wissen, als ich immer behauptet habe. Der Titel ist ein Bekenntnis: Die Zeit im Radsport war einfach auch positiv für mich.

Deshalb lässt Sie die Tour auch nicht los.

Richtig. In Paris werde ich auch dabei sein, als Gast eines früheren Sponsors.

Wer darf sich dort als Sieger feiern lassen?

Alberto Contador, allerdings überrascht mich Andy Schleck schon sehr. Wenn ich ihn sehe, muss ich immer an 2004 denken. Damals habe ich ihn als Neo-Profi bei Gerolsteiner nicht genommen. Und jetzt fährt er so stark, dass es schon beunruhigend ist.

Sie zweifeln?

Ja, aber nicht nur an einem Profi. Ich habe generell den Glauben an einen sauberen Spitzensport verloren. Das geht weit über den Radsport hinaus

Fühlen Sie sich als Betrogener?

Fühlen Sie selbst sich auch als Betrogener?

Es ist komisch. Nachdem Bernhard Kohl bei der Tour 2008 Dritter geworden war und das Bergtrikot gewonnen hatte, war dies der größte Erfolg für Gerolsteiner. Dann wurde ihm Epo-Konsum nachgewiesen - und ich habe mich dafür geschämt, einen Gedopten aufs Podium gebracht zu habe. Heute sehe ich das alles etwas gelassener.

Warum?

Weil mir klargeworden ist, dass ein Teamchef, der wie ich damals Hobbykriminologe spielt, keine Chance hat. Es sagen ja nicht mal 100 negative Tests aus, dass ein Athlet sauber ist. Die Schlupflöcher sind einfach zu groß, und das wird sich niemals ändern lassen.

Das hört sich gewaltig nach Resignation an.

Oder nach Realismus. Schließlich gehen Sportler, die vollgestopft sind bis oben hin, lachenden Auges in Dopingkontrollen, weil sie wissen, dass ihnen nichts passieren kann. Das ist zwar bitter, aber wahr.

Wer dopen will, der kann es ungehindert tun?

Davon gehe ich aus. Doping ist nicht zu verhindern. In keiner Sportart.

Spielen die Deutschen bei der Tour nur deshalb eine Nebenrolle, weil sie sauberer unterwegs sind als ihre Konkurrenten?

Das ist reine Spekulation, daran beteilige ich mich nicht.

Bitte, dann bleiben wir bei den Fakten: Dem Team Milram droht das Aus, weil sich kein neuer Sponsor findet...

...und das ist ganz schlecht für den deutschen Radsport. Ohne erstklassiges Team fehlen die Strukturen, um Talente fördern zu können. Und die aktuellen Profis müssen ins Ausland, bekommen dort weniger Anerkennung und Geld. Ein mieser Kreislauf.

Warum investiert niemand in den Radsport?

Weil das Image durch die kritische Berichterstattung unauslöschbar schlecht ist. Die Angst vor Doping würgt alles ab. Dabei wird übersehen, dass die Werbewirksamkeit des Radsports enorm ist.

Das Risiko aber auch.

Stimmt. Aber für sechs bis acht Millionen Euro haben Unternehmen eine Kommunikationsplattform, die ihresgleichen sucht. Für dieses Geld bekommt man mehr zurück als in jeder anderen Sportart. Das ist konkurrenzlos. Und irgendwann sieht ein Investor nicht mehr nur die Gefahr, sondern vor allem diese Chance. Dann wird es auch wieder einen deutschen Rennstall geben.

Mit dem Teamchef Hans Holczer?

Ich suche nicht selbst nach einem Sponsor, das tut eine Agentur aus eigenem Antrieb für mich. Aber ich würde es bei einem guten Angebot - wenn jemand acht Millionen Euro auf den Tisch legt - trotz aller Zwiespälte wohl noch mal machen.

Warum?

Weil sich mit dem Radsport gutes Geld verdienen lässt. Aber das ist alles eine Illusion, Vernunft ist etwas anderes.

"Man darf nicht nur das Imagedesaster des Profibereichs sehen."

  Sie denken an den 13. September?

Mein erster Schultag.

Sie arbeiten wieder als Lehrer.

Ja, ich kehre an die Friedrich-Schiller-Realschule in Böblingen zurück, unterrichte dort wieder Mathematik und Geschichte - die Fächer haben sich ja in den letzten zehn Jahren nicht sonderlich verändert. Und die Pension werde ich im Alter ganz gut gebrauchen können (lacht).

Ihre Zukunft ist gesichert. Welche Aussichten gibt es für den deutschen Radsport?

Nur die besten.

Ehrlich?

Ehrlich, denn man darf nicht nur das Imagedesaster des Profibereichs sehen.

Sondern?

Den absolut konträren Boom, den wir derzeit bei den Hobbyrennradfahrern erleben. 73 Prozent der Deutschen geben bei der Frage, welche Sportart sie ausüben, den Radsport an. An diese Zahl kommt keine andere Sportart auch nur annähernd heran.

Und dieser Trend ist völlig unabhängig davon, was der Profiradsport treibt?

Ja, er könnte aber durch deutsche Stars in einem deutschen Team noch befeuert werden. Aber dieser Rennstall müsste eigentlich so groß sein, dass immer ein Teil des Personals im Jedermann-Bereich etwas bewegen könnte - als Begleiter von Touren zum Beispiel. So könnten alle von der Faszination des Radsports profitieren. Das wäre eine Geschichte mit enormer Strahlkraft.

So, wie Sie schwärmen, müssten Sie eigentlich gleich wieder aufs Rad steigen.

Heute bin ich zu platt. Aber ich habe den Radsport für mich selbst wiederentdeckt. Und das tut mir richtig gut.