Im Mai hatten 37 Studenten eine Prüfung an der Uni Hohenheim abgebrochen und am selben Tag ein Attest eines einzigen Arztes vorgelegt. Foto: dpa

Rund 15 Prozent der Studierenden an der Uni Hohenheim scheitern in den ersten drei Semestern. Die Sprechstunde der Psychologin ist voll. Professoren und Studienberatung sagen, was anders werden muss.

Stuttgart - Die Affäre um die Prüfungsabbrecher in den Wirtschaftswissenschaften und ihre unzureichenden Atteste wirft ein Schlaglicht auf die Situation vieler Studierender – nicht nur, aber auch an der Uni Hohenheim.

Für Karsten Hadwich, Dekan in den Wirtschaftswissenschaften, ist jener massenhafte Abbruch in der Grundlagenprüfung Finanzwirtschaft „offensichtlich als taktisches Element gesehen worden“ – triftige Rücktrittsgründe hätten die meisten der 48 Prüfungsabbrecher nicht geliefert. Doch man habe auch festgestellt: 10 bis 15 Prozent der Studierenden müssen ihr Studium bereits in den ersten drei Semestern abbrechen, weil sie „ihren Prüfungsanspruch verloren haben“ – also zu wenig Leistung brachten.

Das gilt nicht nur für die Wirtschafts-, sondern auch für die Agrarwissenschaften, wie deren Studiendekan Michael Kruse bestätigt. Dass die angehenden Bachelors bis zum Ende des dritten Semesters eine Mindestzahl an Modulen bewältigt haben müssen, sehe man als Orientierungsprüfung und sinnvoll an.

Dekan Wirtschaftswissenschaften: Wir agieren in schwierigen Rahmenbedingungen

„Wir agieren schon in schwierigen Rahmenbedingungen und wünschen uns mehr Ressourcen für Bildung“, sagt Dekan Hadwich im Blick auf die Massenvorlesungen mit 600 Studierenden bei der Einführung in die BWL – „wir würden gern andere Elemente anbieten“. Studiendekan Kruse hätte gern Übungen für 20 Studierende – „denn bei Übungen ist die Gruppengröße relevant – aber das krieg ich nicht hin“.

Hadwich, Inhaber des Lehrstuhls Dienstleistungsmanagement, weiß: „Unser Bildungsauftrag ist es, die Studierenden erfolgreich durch das Studium zu bringen. Wir sollen nicht selektieren.“ Um dieses Ziel zu erreichen, biete die Uni „viele Zusatzangebote, die wir uns aus den Rippen schneiden müssen“: Einführungswoche, Mathe-Vorkurse, Lerncafés, Brückenkurse. Oft müsse Schulstoff nachgeholt werden. „Viele Studierende haben sich nicht informiert, wie viel Mathe, Physik, Chemie in ihrem Studium auf sie zukommt“, berichtet Korinna Huber, Prorektorin Lehre.

Prorektorin Lehre: Studieninteressenten klar machen, dass Uni Leistung verlangt

Das beobachtet auch der Studienberater UIrich Krieger: „Einen gewissen Kreis an Studieninteressierten erreichen wir mit unseren Informationen nicht. Das sind dann die, die ganz überrascht sind, dass es so viel Mathe gibt.“ Prorektorin Korinna Huber meint: „Man muss den Studieninteressenten klar machen, dass es auch Leistungsanforderungen gibt. Doch die Vorbereitung auf die Uni ist an den Schulen nicht so gegeben.“ Ihr Eindruck: „Das Niveau an den Schulen ist gesunken.“ Studiendekan Kruse ist dennoch davon überzeugt: „Wer all unsere Angebote nutzt, muss das Studium auch schaffen können.“ Auch wenn viele Nachholbedarf in Rechtschreibung, Interpunktion und bei präzisem Aufbau eines Textes hätten – schließlich gehöre zur Wissenschaft auch das Publizieren. Kruse: „Die schauen mich an und sagen: Was?“ Da fehle es an Allgemeinbildung.

Hinzu kommt: „Die Spanne zwischen den Besten und den Schlechtesten ist größer geworden“, sagt Dekan Hadwich, „das ist die größte Herausforderung“. Nicht alle, die eine Hochschulzugangsberechtigung haben, seien auch studierfähig, ergänzt Kruse. Doch ins Tutorium gingen oft „Leute, die das gar nicht nötig haben“.

Studienberater: Immer mehr Studierende haben große Angst davor, zu scheitern

Studienberater Krieger beobachtet ein weiteres Phänomen: „Immer mehr Studierende haben große Angst davor, zu versagen.“ Das sei auch bei Einserkandidaten der Fall. So sei eine 20-jährige Studentin der Wirtschaftswissenschaften zu ihm gekommen – „die hat Schlafstörungen, Existenzängste und Angst davor, dass sie mit einem Schnitt von 2,2 keinen Masterstudienplatz kriegt“. Seit dem vergangenen Jahr gibt es an der Uni eine psychologische Beratungsstelle. und „unsere Sprechstunden sind voll“, so Krieger. Auf einen Termin müssen Studierende sechs Wochen warten.

Doch auch die Tatsache, dass immer mehr sehr junge Leute ihr Studium beginnen, sei spürbar. „Viele kommen frisch aus der Schule, waren noch nie in einem Betrieb und denken wie Schüler“, sagt Hadwich. Auch mit der Selbstständigkeit hapere es zuweilen noch. So komme es schon vor, dass ein Drittsemester mit seinem Vater zu einem Beratungsgespräch komme, berichtet Kruse.