Verwöhnnachmittag im Lothar-Christmann-Haus. Foto: Cedric Rehman

Im Lothar-Christmann-Haus lassen sich Demenzpatienten, Angehörige und Helfer verwöhnen.

Hoffeld - Der Mann ist in der Tagespflege, Rosamunde Bartsch kann sich in Ruhe ihren Apfelkuchen schmecken lassen. Sie ist eine der Gäste des Verwöhnnachmittags für Demenzerkrankte, ihre Angehörigen und Helfer im Lothar-Christmann-Haus. Die 86-Jährige mit der braun gefärbten Dauerwelle könnte locker zehn Jahre jünger sein. „Muss wohl an der Bewegung liegen, ich hatte immer viel zu tun“, sagt sie und gießt etwas Sahne in ihren Kaffee. Viel zu tun hat sie offenbar auch heute: „Mein Mann ist 92, und er weiß inzwischen einfach gar nichts mehr. Da muss ich eben alles für ihn machen.“ Ihr Leben bestehe seit Jahren aus dem selben Rhythmus: Den Mann waschen, anziehen, ihn den ganzen Tag über ständig im Auge behalten. Ob ihr das manchmal zu viel wird? „Was ich nicht ändern kann, kann ich nicht ändern“, lautet die knappe Antwort. So spricht eine Frau, die wohl nie das Jammern gelernt hat. Rosamunde Bartsch nötigt Respekt ab. Doch dann ist alles ganz anders. Frau Bartsch, die in Wirklichkeit nicht so heißt, lebt zwar mit ihrem 92-jährigen Mann zusammen. Doch er ist es, der auf seine Frau aufpasst. Denn sie vergisst immer mehr Dinge und nimmt die Realität anders wahr als andere. In ihrer Welt ist sie aufopferungsvolle Ehefrau, die ihren Mann pflegt. In der Welt der anderen hat sie eine Krankheit, die als Todesurteil für die eigene Persönlichkeit gilt: Demenz.

Veranstaltungsreihe

In Degerloch widmet sich eine von der Stadtteilrunde und dem Bezirksrathaus ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe der Krankheit, die nach Expertenmeinung von einem gewissen Alter an fast alle Menschen trifft. „Leben mit Demenz“, so nennt sich die Aktion. Das heißt an diesem Nachmittag, dass sich Patienten, Angehörige und ehrenamtliche Helfer ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee schmecken lassen, während eine Band spielt. Immer wieder erklingt Filmmusik, die leicht zu erkennen ist. Nur eben nicht für alle.

Christa Berger schneidet mit ihrer Kuchengabel immer wieder Stücke Butter aus einer kleinen Packung. Die wurde ihr zwar zur Brezel gereicht, aber die lässt sie links liegen. Stattdessen isst sie die Butter pur, als wäre sie Käsekuchen. Die Frau mit den blonden Haaren ist 59, aber ihre Seele hat sich schon vom Acker gemacht. So drückt es ihre ehrenamtliche Helferin Lydia Horn aus. Berger, die gleichfalls anders heißt, ist die jüngste Alzheimerpatientin, die heute beim Verwöhnnachmittag mit dabei ist. Warum die Krankheit bei ihr schon so früh zuschlug, keiner weiß es.

Verzweifelte Angehörige

Lydia Horn betreut Demenzkranke einmal in der Woche. Mit der Familie von Christa Berger hat sie sich angefreundet. Sie sei sehr verzweifelt, denn die Frau und Mutter habe sich rasant verändert, sagt sie. „Sie war Akademikerin, sehr gebildet“, sagt Horn. Es ist Erklärung genug für den Schock, den die Angehörigen zu verkraften haben. Die Ehrenamtliche spricht ganz offen darüber, wie schwierig die Arbeit mit den Erkrankten ist. Ständige Aufmerksamkeit ist so nötig wie ein dickes Fell, wenn Zuwendung mit Aggression beantwortet wird. Nicht zuletzt Horn setzt das Erschrecken über den Verfall der anderen zu, der auch der eigenen Endlichkeit einen Spiegel vorhält. „Wenn ich mir das vor Augen halte, bekomme ich eine Riesenangst“, sagt sie.

Ein Nachmittag, der Belohnung und Ablenkung in einem sein soll, gönnt Lydia Horn vor allem den Angehörigen. Für die Helfer sei die Arbeit mit den Kranken eine Belastung auf Zeit, die auch schöne Seiten hat. „Wenn Demenzkranke sich freuen, dann freuen sie sich richtig.“ Die Betroffenen würden von einer gezielten Zuwendung wohl mehr haben, sagt Horn. Bleiben die pflegenden Angehörigen, die oft geplagt sind von Schuldgefühlen. Sie wollen eigentlich nicht über Probleme reden, auch und vielleicht gerade an diesem Nachmittag. Eine Frau gibt zu, dass sie psychisch krank geworden ist, weil die Rund-um-die-Uhr-Betreuung ihrer Mutter sie aufgefressen hat. Den Nachmittag im Lothar-Christmann-Haus genießt sie. Die Mutter ist tatsächlich in der Tagespflege.