Die 92-jährige Rachel Dror will ihr Wissen an die junge Generation weitergeben.Foto: Ayerle Foto:  

Rachel Dror erzählt Schülern des Hölderlin- Gymnasiums von ihren Erfahrungen im Dritten Reich.

Hölderlinplatz - Ein normaler Schulalltag wie in Schüler heute kennen ist der 92-jährigen Rachel Dror fremd. Sie ist 1921 im damals noch deutschen Königsberg geboren. Bereits in ihrer Kindheit, also kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933, war ihr Alltag von Ausgrenzung und Entrechtung bestimmt. „Auf einmal hieß es von meiner Mutter, du darfst nicht mehr mit deinem Freund Werner spielen“, erzählt sie den Neuntklässlern des Hölderlin-Gymnasiums bei ihrem Besuch. In der Schule habe sie danach auf einmal immer hinten sitzen müssen. „Alle Juden mussten in der letzten Reihe sitzen“, erklärt sie. Für die Schüler ist dies fast unvorstellbar: „Was haben denn ihre Freunde gemacht? Wie haben die darauf reagiert?“, will eine Schülerin von Dror wissen. „Meine Freunde haben nicht mehr mit mir gesprochen. Schlicht, weil sie es nicht durften“, sagt Dror.

Einmal im Jahr besucht die Holocaust-Überlebende das Hölderlin-Gymnasium in Stuttgart-Nord. „Der Vortrag ist immer für unsere Neuntklässler“, sagt die Lehrerin Karin Pohl-Michelfelder. In Klasse neun beginnt im Geschichtsunterricht die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und dem Zweiten Weltkrieg. Seit mehreren Jahren komme Dror schon an die Schule. Die Schüler hören ihr gerne zu. „Sie hat eine Art, die einen sehr fesselt“, sagt die 14-jährige Melodi. Bewundernswert findet sie wie stark die junge Rachel Dror gewesen sein muss. „Sie hat immer ihre Meinung durchgesetzt.“ Auch ihre Klassenkameradin Vera ist beeindruckt. Besonders davon, wie Rachel Dror reagiert habe, als sie in ihr Elternhaus zurückgekehrt ist, ihren Vater verprügelt, den Bruder völlig eingeschüchtert und das Haus komplett zerstört vorgefunden habe. „Ich hätte nur geheult“, sagt Vera.

Mit den Ausgrenzungen in der Schule und der Enteignung des Hauses begann das Elend der jüdischen Familie. Rachel Drors Eltern wurden 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Erfahren hat sie davon erst im Jahr 1952, als sie eine Mitgefangene ihres Vaters zufällig in Palästina traf. In diesem Moment habe sie nichts gespürt, erzählte Dror. „Vom Dritten Reich ist mir geblieben, dass ich keine Gefühle habe. Die Frau wollte mich traurig sehen, ich aber wollte tanzen gehen.“ Das sie so reagiert habe, liege am Dritten Reich und ihren Erfahrungen, aber auch an ihr selbst. „Ich bin sehr offen. Das hat mich am Leben gehalten“, sagt Dror.

„Machen Sie sich Ihr eigenes Bild“

Besonders die Familiengeschichte berührt die Neuntklässler. Sie haben deshalb nach dem Vortrag viele Fragen an Rachel Dror: „Was ist mit Ihrem Bruder passiert?“ oder „Warum sind Sie und Ihre Familie nicht einfach rechtzeitig ausgewandert?“ Doch auch die damalige Lebenssituation interessiert die Schüler. „Wie lange haben Sie denn mit dem Zug von Berlin nach Königsberg gebraucht, als Sie heimfuhren?“, will ein Schüler wissen. Einen ganzen Tag sei sie damals unterwegs gewesen, berichtet Dror.

Der Vortrag von Rachel Dror ist nur ein Teil von mehreren Veranstaltungen, die das Hölderlin-Gymnasium seinen Schülern bietet. „Wir haben ein Geschichte-Curriculum, wo wir Veranstaltungen von außen einbinden“, erklärt der Lehrer Matthias Wasel. Auch zu anderen Themen lädt die Schule oft Experten ein. So war bereits der ehemalige Ministerpräsident Erwin Teufel zu Gast sowie die StZ-Kolumnistin Sybille Krause-Burger. Auf diese Weise erhalten die Schüler Einblicke von außen zu verschiedenen Themen.

Das Anliegen von Rachel Dror ist in erster Linie, den Schülern eine Botschaft mit auf den Weg zu geben: „Lernen Sie viele Menschen kennen, viele Länder, viele Religionen. Dann können sie be- und verurteilen. Aber machen Sie sich ihr eigenes Bild“, sagt sie zum Schluss.