Im Bauch der Schwäbischen Alb ist der Alltag plötzlich ganz weit weg. Die Falkensteiner Höhle erkundet man entweder mit Genehmigung der Gemeinde Grabenstetten – oder am besten mit einem Führer.
Grabenstetten - Ein kühler Lufthauch schlägt Jochen Hintz entgegen. Gerade hatte er noch auf dem Weg vom Wanderparkplatz zum gewaltigen Eingangsportal der Falkensteiner Höhle bei Grabenstetten (Landkreis Reutlingen) bei 30 Grad Celsius in seinem Neoprenanzug geschwitzt. Nun wird es mit jedem Schritt nicht nur dunkler, sondern auch kühler. Und spätestens hinter dem sogenannten Demutsschluf, den man auf allen vieren durchqueren muss und in dem man sich gewissermaßen vor der Natur verneigt, ist man in einer ganz anderen, einer eigenen Welt angekommen: im Bauch der Alb.
Es herrschen beständig zwölf Grad
Nur das Plätschern des Höhlenbachs ist zu hören, ansonsten völlige Stille – bis der Höhlen-Guide langsam durch das Wasser watet und das Regenbogentörle durchquert. „Von nun an herrschen unabhängig von der Jahreszeit immer zwölf Grad, das Wasser hat sieben Grad“, sagt Hintz – und genießt die Abkühlung. 120-mal sei er in diesem Jahr schon in der Höhle gewesen, erzählt der gebürtige Reutlinger, der sich nach vielen Jahren im Rettungsdienst selbstständig gemacht und mit seiner Partnerin Constanze Krauß die Firma Cojote Outdoor gegründet hat. „Diese Welt im Bauch der Schwäbischen Alb fasziniert mich immer noch, jede Tour ist ein neues Erlebnis“, erzählt er und läuft – pitschpatsch, pitschpatsch – weiter.
Wer ihm folgt – nicht nur gedanklich, sondern auch real –, vergisst den Alltag, konzentriert sich auf die nächsten Schritte und wird von der Unterwelt gefangen genommen. Das Licht der Stirnlampen erleuchtet den Gang, den das Wasser über Jahrtausende geschaffen hat. Doch es löst den Kalkstein nicht nur auf, sondern erschafft ihn auch neu – so wie die Sinterformation des Weißen Riesen. Wasser tropft von der Decke, zerstäubt beim Auftreffen und scheidet feinste Kalkteilchen aus, die über Tausende von Jahren Formen wie die bekannten Tropfsteine bilden. „Archäologen glauben, dass hier schon die Kelten eine Opferstelle hatten“, erzählt Hintz und lässt die Abermillionen frischer Kristalle im Licht seiner Stirnlampe glitzern.
An manchen Stellen geht’s ins Wasser
Vorsichtig steigt der Höhlenkundler über das Blockwerk hinunter. „Ein wenig vorsichtig muss man schon sein, die Steine können rutschig sein“, sagt er und versinkt kurz darauf bis zum Bauch im Nass. Nach 400 Metern Auf und Ab, Pitsch und Patsch ist Schluss – zumindest bei dieser Einsteigertour. „Dort würde es weitergehen“, sagt Jochen Hintz und weist auf einen Durchschlupf, aus dem Wasser fließt. Der erste Siphon, der bei normalem Wasserstand genügend Platz lässt zum Atmen, den man aber auf dem Bauch oder dem Rücken liegend durchquert. „Es sind nur drei Meter“, ergänzt er, danach könne man wieder aufrecht gehen.
Insgesamt fünf Kilometer lang ist die Höhle und reicht bis unter Grabenstetten. Der hinterste Teil ist jedoch erfahrenen Höhlengängern vorbehalten, beim zweiten Siphon nach zweieinhalb Kilometern muss man mit dem Kopf richtig unter Wasser. „Die Leute im Ort behaupten, uns hören zu können, wenn sie ihren Most aus dem Keller holen“, sagt Hintz schmunzelnd.
In der Höhle duzt man sich
Jochen – in der Höhle duzt man sich – zeigt noch auf einen Stollen, der von Goldgräbern in den Fels getrieben wurde, weist in Richtung eines Steinhaufens, unter dem einer der Glücksritter begraben sein soll, dann geht es wieder zurück. Am Ende schaltet der Höhlenführer das Licht aus, tastet sich im Dunkeln voran, folgt einem Lichtschein, der immer heller wird, blickt schließlich aus dem Eingangsportal hinaus auf das grüne Blätterdach der Bäume. „Ich gehe sehr gerne in Höhlen, freue mich aber auch, wenn ich wieder draußen bin“, sagt er und nimmt seinen Helm ab. Die Sonne ist mittlerweile untergegangen. In der Höhle vergisst man nicht nur den Alltag, sondern auch die Zeit.