Bauer beim Düngen seines Feldes: Zwar gibt es schon Vorschriften, wann und wie viel gedüngt werden darf. Kritiker halten diese aber für viel zu lasch Foto: Fotolia

In Baden-Württemberg ist das Grundwasser großflächig mit Düngemittel-Rückständen belastet. Seit Jahren liegt die Wasserwirtschaft im Dauerclinch mit den Bauern. Diese düngen zu viel und zu ungenau, sagen Kritiker.

Stuttgart/Langenau - Es ist eine einfache Grafik, die Bernhard Röhrle die Falten ins Gesicht treibt. Sie zeigt die Entwicklung der Nitratbelastung im Donauried, dem wichtigsten Grundwasserspeicher Baden-Württembergs. Aus ihm wird die Versorgung für rund zwei Millionen Menschen sichergestellt. Eine der Kurven auf der Grafik stellt die Konzentration von Düngemittelrückständen in einem der großen Brunnen des Donaurieds seit einem Jahrhundert dar – und sie läuft stetig nach oben. „Im Vergleich zu 1917 haben wir heute die dreifache Belastung“, sagt Röhrle. Zwar seien die Grenzwerte noch nicht gerissen, aber wenn es so weitergehe, sei das nur eine Frage der Zeit. Röhrle ist Sprecher von Baden-Württembergs zweitgrößter Wasserversorgung, dem Zweckverband Landeswasserversorgung (LW), und als solcher Berichterstatter über eine der Hauptkampfzonen in Sachen Trinkwasserqualität im Land.

Die Frontlinien verlaufen ziemlich klar: Auf der einen Seite stehen die Wasserbetriebe, die ihr Produkt gerne ohne viel Nachbehandlung und zu günstigen Preisen zu den Verbrauchern bringen wollen. Auf der anderen Seite stehen die Landwirte, die sich über satte Ernten nur dann freuen können, wenn sie Düngemittel einsetzen. Diese werden von den Pflanzen meist nicht komplett aufgenommen und gelangen so ins Grundwasser.

Beides passt schlecht zusammen. Konflikte sind vorprogrammiert. Das letzte Mal krachte es vor einigen Monaten, als die Landeswasserversorgung die Bauern, die das Wasserschutzgebiet im Donauried bewirtschaften, zur Aussprache einlud. „Von einer hitzigen Debatte“ schrieben damals die Zeitungen. Trotz ständiger Appelle käme man nicht auf einen grünen Zweig, konstatiert Röhrle zerknirscht. Unverändert kämen bis zu 85 Prozent der Nitratbelastung aus der Landwirtschaft – eine Einschätzung, die sich mit Daten der Europäischen Kommission deckt, die bei dem Thema gerade Druck macht. Nach EU-Daten gehen zudem 60 Prozent der Phosphoreinträge im Grundwasser auf bäuerliche Betriebe zurück.

Die Küsten an der Nord- und Ostsee gelten als Nitrat-Problemzonen

Was sich im Donauried nahe der baden-württembergischen Landesgrenze zu Bayern abspielt, steht exemplarisch für die gesamte Republik. Überall leiden die natürlichen Wasserressourcen unter Verunreinigungen durch Industrie, Verkehr, Arzneimittel und eben durch die Landwirtschaft. Eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag brachte Ende August 2015 zutage, dass rund ein Viertel der 1200 Grundwassersysteme auf deutschem Boden wegen zu hoher Nitratbelastung „in einem schlechten chemischen Zustand“ sind. 22 davon liegen in Baden-Württemberg. An 106 von 739 Messstellen werden nach Auskunft der Bundesregierung die zulässigen Nitratgrenzwerte überschritten. Sieben dieser Problemzonen liegen im Südwesten.

Der Südwest-Bauernverband LBV bestreitet die Existenz von „regionalen Belastungsschwerpunkten“ nicht, verweist aber darauf, dass die Nitratbelastung im Grundwasser generell zurückgehe: um etwa 20 Prozent seit den 1990er Jahren. Die Bauern düngten immer genauer und „bedarfsgerechter“, sagt LBV-Kreisgeschäftsführerin Anette Herbster.

Besonders in den Viehhaltungszentren der Republik – in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und in Teilen Ostdeutschlands – ist von Entspannung allerdings nichts zu spüren. Hier steigen die Nitrat-Werte. Hohe Einträge in Flüsse haben beispielsweise dazu geführt, dass die deutschen Küsten der Nord- und Ostsee mittlerweile flächendeckend als Nitrat-Problemzonen gelten.

Die EU-Kommission macht Druck

Die deutschen Verhältnisse haben 2013 auch die Brüsseler EU-Kommission auf den Plan gerufen. Im Moment bereitet sie ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Nitrat-Ausreißer gegen die Bundesrepublik vor. Ziel ist es, dass Flüsse, Seen und Grundwasser spätestens bis 2027 wieder einen guten Zustand erhalten. Vom ursprünglichen Ansinnen, dies bereits im vergangenen Jahr zu erreichen, hat man Abstand genommen. Zu gravierend sind die Probleme – etwa in Flüssen und Bächen, die fast alle in keinem guten „ökologischen Zustand“ mehr sind.

Nitrat ist aber nur ein Thema, das der EU, der Wasserwirtschaft und Umweltschützern Sorgen macht. Das Grundwasser im Land sei „immer stärker mit Spritzmitteln belastet“, sagt Bernhard Röhrle von der Landeswasserversorgung. Und es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis auch Antibiotika aus der Tiermast im Grundwasser auftauchen würden. In Norddeutschland sind Rückstände der Bakterien-Killer schon in mehreren Brunnen nachgewiesen worden – immer in Gebieten mit hoher Nutztierdichte. Das Problem sei, dass die Landwirtschaft immer intensiver werde, sagt Röhrle. Auf Dauer würden die Böden und das Grundwasser das nicht verkraften.

Außerdem gebe es eine große Unbekannte – die Zeit. Chemische Stoffe, die heute in den Boden gelangten, brauchten Jahre und Jahrzehnte, bis sie im Grundwasser ihre Wirkung entfalteten. Im Gebiet der Landeswasserversorgung kämpft man heute beispielsweise mit dem Alt-Herbizid Atrazin. Der Vorgänger des berüchtigten Glyphosat, dessen Neuzulassung derzeit wegen seiner vermeintlichen krebsauslösenden Wirkung heiß diskutiert wird, ist zwar seit Anfang der 1990er Jahre in Deutschland verboten. Aber „hohe Werte“ fänden sich immer noch im Grundwasser, sagt Röhrle.

Nachrüstung von Nitratfiltern kann Wasserpreise für Verbraucher verteuern

Ein Liter des Wirkstoffs habe die Bauern damals umgerechnet fünf Euro gekostet, sagt Wasserwirtschaftler Röhrle. Die Wasserwerke würde es heute rund 50 000 Euro kosten, diesen einen Liter wieder aus dem Grundwasser herauszufiltern – und das zahle die Allgemeinheit über höhere Wasserpreise. Die Nachrüstung von Nitratfiltern könne die Wasserpreise für Endkunden deutlich anheben – besonders bei kleinen Wasserversorgungsbetrieben, die die Kosten der teuren Anlagen auf wenige Endkunden umlegen müssen. Der Energieverband VfEW hält in Extremfällen einen Preissprung von 95 Euro auf 140 Euro pro Jahr für einen Zweipersonenhaushalt für möglich. Für die LW rechnet Röhrle mit höheren Abgabepreisen von 5 bis 8 Cent je Kubikmeter Wasser, falls die Nitratbelastung flächendeckend über kritische Grenzwerte steige.