Am Landesgymnasium Foto: dpa

Viele hochbegabte Schüler erhalten nicht die nötige Förderung, klagen Eltern. Gleichzeitig können Schulen keine Spezialklassen bilden, weil sich nicht genügend Schüler anmelden.

Stuttgart - Zwei Prozent der Bevölkerung gelten als hochbegabt. Von den rund 1,6 Millionen Schülern im Südwesten wären das etwa 32 000. Doch längst nicht alle sind erkannt und bekommen die nötige Unterstützung.

In den vergangenen 15 Jahren habe sich vieles verbessert, sagt Markus Siehr, Vorsitzender des Landesverbands für Hochbegabung. Das Landesgymnasium in Schwäbisch Gmünd sowie die Hochbegabtenklassen an 15 Gymnasien seien wichtige Schritte gewesen, reichten aber bei weitem nicht aus. Nötig sei es vor allem, Lehrer stärker für die Aufgabe der Hochbegabtenförderung zu sensibilisieren und zu qualifizieren. Diese nehme häufig die Förderung schwächerer Schüler sehr in Anspruch, deshalb hätten sie die besonderen Bedürfnisse hochbegabter Schüler zu wenig im Blick.

2004 richtete die damalige Kultusministerin Annette Schavan (CDU) in Schwäbisch Gmünd ein Landesgymnasium für Hochbegabte ein. Im vergangenen Schuljahr besuchten 234 Jugendliche die Ganztagsschule, die Schüler von der siebten Klasse an aufnimmt. Neben dem regulären Unterricht können die Schüler in Arbeitsgemeinschaften und Schülerlaboren forschen, auch steht ihnen eine wissenschaftliche Bibliothek zur Verfügung.

Aufnahme erst nach Intelligenztest

Wer dort aufgenommen werden will, muss einen psychologischen Test machen und an einem Auswahlverfahren teilnehmen. In der Klassenstufe sieben und acht gibt es jeweils eine Klasse, in höheren Klassenstufen sind es zwei bis drei pro Jahrgang. Bereits in der Aufbauzeit habe sich abgezeichnet, dass die Nachfrage von Quereinsteigern in höheren Klassen größer sei, sagte eine Sprecherin des Kultusministeriums. „Die Schüler sind in der Mittelstufe schon älter und entscheiden sich bewusster für das Landesgymnasium und das Leben im Internat.“ Eine Erweiterung des Gymnasiums sei derzeit nicht geplant, erklärte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) kürzlich auf eine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion. „Gut und sehr gut geeignete Schüler aus Baden-Württemberg werden in der Regel immer aufgenommen.“ Einzelne Bewerber aus anderen Bundesländern stünden auf der Warteliste.

„Die meisten Eltern hochbegabter Kinder wünschen sich, dass ihre Kinder zu Hause leben und in einer gut erreichbaren Schule die nötige Unterstützung erhalten“, sagt Carsten Rees, Vorsitzender des Landeselternbeirats Baden-Württemberg. Dazu reichten die speziellen Klassen für Hochbegabte an 15 von 380 Gymnasien nicht aus – die Entfernung zwischen Wohn- und Schulort sei oft zu groß. Die Folge: manche Hochbegabtenklassen kommen gar nicht zustande, weil Anmeldungen fehlen. Im nächsten Schuljahr können nach Angaben des Kultusministeriums in Heilbronn, Lahr, Lörrach, Pforzheim und Rottweil keine neuen Klassen gebildet werden, da sich weniger als 16 Fünftklässler angemeldet haben. In der Region Stuttgart bieten das Karls-Gymnasium und das Königin-Katharina-Stift in Stuttgart sowie das Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach entsprechende Kurse.

Spezialklassen allein lösen das Problem aber nicht, sagt Siehr. Nötig sei, dass das Thema Hochbegabung bei der Lehrerausbildung eine größere Rolle spiele, damit Kinder mit besonderen Fähigkeiten früh gefördert würden. Passiert das nicht, kann das auch negative Folgen haben: Kinder langweilen sich und schalten ab oder werden zum Klassenclown. Durch das Überspringeneiner Klasse oder durch Extraangebote könnte Kindern teilweise geholfen werden – allerdings ließen sich nicht alle Schulen darauf ein, so Siehr. Oft hänge es von einzelnen Kollegen ab, ob Schüler von außerschulischen Möglichkeiten wie den Schülerforschungszentren, Hector-Seminaren, Projekten wie Jugend Forscht, Wettbewerben für sprachlich oder politisch Interessierte erführen.

Alle Schulen sollen Begabtenförderung bieten

Begabtenförderung müsse an allen Schulen selbstverständlich werden, fordert Rees. Dazu sollten die Gymnasien Angebote machen, die den Bedarf der Schüler besser berücksichtigen. Am Gymnasium Wilhelmsdorf etwa ist ein Teil des Matheunterrichts für alle Schüler verpflichtend. Für schwächere gibt es zudem Wiederholungskurse, für Mathefans Extrastunden mit anspruchsvollerem Stoff; das Prinzip gilt auch für andere Fächer. Dafür bräuchten die Gymnasien mehr Unterstützung. Bei der künftigen Lehrerausbildung werde das Thema Diagnose und Förderung eine größere Rolle spielen als bisher, kündigte Minister Stoch an.

Rees spricht sich auch dafür aus, die Grund- und Leistungskurse in der gymnasialen Oberstufe wieder einzuführen. Das hatte kürzlich auch Claus Schmiedel, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag, im Interview mit unserer Zeitung gefordert. Damit könnten Sprachtalente oder Jugendliche mit mathematischer oder naturwissenschaftlicher Begabung besser gefördert werden. Diese Kurse hatte Schavan vor 15 Jahren abgeschafft, weil sich die Schüler ihrer Ansicht nach zu früh spezialisierten und darunter die Allgemeinbildung litt.