Deutschkurs für Asylbewerber in Schwäbisch Gmünd: Mehr Förderung erhalten junge Flüchtlinge oft nicht. Hochbegabte werden meist nicht erkannt. Foto: dpa

Wie gelangt die Begabtenförderung zu den Begabten? Im Fall von jungen Flüchtlingen häufig überhaupt nicht. Denn Talente aus Krisengebieten fallen meist durch das Raster des Systems.

Stuttgart - Dass die zugewanderte Kroatin Alexandra Bikic von ihrer Hochbegabung erfuhr, verdankt sie einem Zufall. „In meine Praxis kamen Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Als deren Eltern mir von ihrer Hochbegabung erzählten, dachte ich auch daran, einen Intelligenztest zu machen“, sagt die 46 Jahre alte Osteopathin.

Sie lebt seit 23 Jahren in Stuttgart. Sechs Wochen ist es her, dass ihr eine Ärztin einen Intelligenzquotienten von mehr als 130 und damit eine Hochbegabung bescheinigte. „Hätte ich das vorher gewusst, wäre mir viel Plagerei und Ärger erspart geblieben“, sagt Bikic.

Weil Bikic den anderen Menschen immer eine Spur voraus war, kämpfte sie mit Anfeindungen, Missgunst und Neid. Und: Sie fühlte sich stets unterfordert, erst als Hotelfachfrau, später dann als Arzthelferin. Deshalb sattelte sie noch eine Ausbildung zur Osteopathin drauf.

Hochbegabte Flüchtlinge oft unentdeckt

Dass Hochbegabte wie Alexandra Bikic lange Zeit unentdeckt bleiben, kommt nicht selten vor. Ihre Geschichte zeigt aber, dass die üblichen Stiftungen und Institutionen bisher an Flüchtlingen und Zuwanderern vorbeifördern.

Alexandra Bikic bekam überhaupt keine Förderung. „Ich bin aus Kroatien geflohen, weil es dort Anfang der Neunziger Jahre keine Arbeit gab und in den Nachbarländern Krieg herrschte“, sagt 46-Jährige. So strandete sie 1991 in Stuttgart, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen und schlug sich als Hotelangestellte durch.

Dass es ein großes Potenzial bei Flüchtlingen gibt, sieht man auch beim Runden Tisch der Stadt Stuttgart zum Thema Hochbegabung. Ziel war es, alle Einrichtungen für Hochbegabte in der Stadt zu erfassen und zu fragen, wie dieses besser zusammenarbeiten können.

„Wir haben im großen Kreis eruiert, wo auf diesem Gebiet noch Förderbedarf besteht“, sagt die Leiterin der Gruppe Silke Schmidt-Dencker. „Eine Schwierigkeit bei Flüchtlingskindern ist die Erreichbarkeit. Das liegt daran, dass die Tests auf Hochbegabung erst auf Initiative der Eltern erfolgen“, sagt Schmidt-Dencker.

Förderer sind auf Lehrer angewiesen

Wenige Förderstiftungen schneidern ihr Angebot zumindest mit kleinen Projekten auf Kinder und Jugendliche zu, die Krieg oder Armut nach Deutschland getrieben haben. An begabte Neunt- und Zehntklässler aus Baden-Württemberg und Bayreuth richtet sich die sogenannte „VorbilderAkademie“ der Förderung „Bildung und Begabung“.

Aus dem Land nahmen im vergangenen Jahr 27 junge Zuwanderer und Flüchtlinge an deren achttägigen Sommerakademie teil. Aus der Region Stuttgart waren es lediglich vier Schüler. „Es wäre natürlich wünschenswert hier noch sehr viel mehr Jugendliche zu erreichen“, sagt die Ulrike Leikhof, Leiterin der Abteilung Neue Fördermaßnahmen bei „Bildung und Begabung“.

Zu den größten Stipendienprogrammen für Schüler im Land zählt das Projekt „Talent im Land“. Seit dem Jahr 2003 fördern Robert Bosch Stiftung und Baden Württemberg Stiftung damit insbesondere Jugendliche, die aus benachteiligten Familien stammen.

„Es fehlt an institutioneller Unterstützung"

„Rund 10 Prozent unserer Stipendiaten haben eine Fluchterfahrung“, sagt Katie Rodgers von der landesweiten Förderung. Unter den zur Zeit 111 geförderten Schülern sind zwar auch immer mehr Jugendliche aus Syrien oder anderen Krisenregionen.

Doch sind die Förderer stets darauf angewiesen, dass ihnen Sozialarbeiter, Lehrer oder andere Pädagogen, die künftigen Alumni empfehlen. Viele begabte Flüchtlinge, schätzt die Expertin Rodgers, blieben daher auf der Strecke.

„Vor große Hürden sind gerade die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gestellt“, sagt die Soziologin. „Es fehlt an institutioneller Unterstützung, wenn junge Flüchtlinge einen mittleren Schulabschluss absolviert haben und dann mit 19 Jahren nicht mehr unter die Aufsicht des Jugendamts fallen.“ Ab diesem Zeitpunkt gebe es oft keine Förderung mehr. Die Folge: Große Begabungen blieben unentdeckt.

Die Stuttgarter Initiative zur Förderung hochbegabter Jugendlicher ist bislang überhaupt nicht in Kontakt mit talentierten Flüchtlinge gekommen. „Wir verstehen uns als Austauschforum für Eltern von hochbegabten Kindern“, sagt Anne Ballweg von der Initiative. Bei den Treffen geht es um Hilfe, Förderung und Schulwahl. Bis auf weiteres ganz ohne Flüchtlingskinder.