Historischer Markt in Großbottwar: Ein buntes Völkchen tummelt sich in der historischen Innenstadt. Viele Männer, Frauen und Kinder in bunten mittelalterlichen Kleidern bevölkern den malerischen Marktplatz. Man hat den Eindruck, unter Zeitreisenden zu sein.
Wer durch das Tor neben dem Rosenplatz tritt, kann sofort einen Eindruck davon bekommen, wie es in Großbottwar ausgesehen hat zu der Zeit, als die Fachwerkhäuser in der historischen Altstadt und das prächtige Rathaus am Marktplatz Neubauten waren. Von Kopf bis Fuß schwarz gekleidete Fantasiegestalten begrüßen die Besucher in heutiger Kleidung auf der rechten Seite hinter dem Torbogen. Auf der anderen Seite verlangen historisch Gewandete von den Eintretenden den Wegezoll. Der ist bei denjenigen, die direkt aus einem Auto auf einem der Parkplätze oder aus dem Linienbus an der nahen Haltestelle gekommen sind, höher als bei den historisch Gewandeten mit langen Leinenkleidern in Primärfarben oder dunklen Kniehosen und weiten Hemden aus den gleichen Materialien. Die sehen aus, als seien sie schon weit durch Zeit und Raum gereist.
Direkt hinter den schwarzen Gestalten kann auf dem Platz gleich die Zeitreise beginnen. Auf Holzpferdchen drehen Kinder auf einem kleinen Karussell ihre Runden, gegenüber auf dem Turnierplatz ist gerade Pause, bis die nächsten Kämpfer und Besucher wieder für Leben sorgen werden. Die sind gerade oben in der Stadt im farbenprächtigen großen Umzug unterwegs oder schauen zu. Daneben beschäftigt sich ein Handwerker mit allem, was zu einer Ritterrüstung gehört. Weiter hinten sind Mägde, wie man sie aus alten Büchern und Gemälden kennt, mit der Herstellung von Speisen beschäftigt. Gerade haben dunkle Wolken mit einem kleinen Regenschauer den blauen Himmel abgelöst. Da ist das Zelt hinten auf dem Platz als Unterstand willkommen.
„Genau deshalb habe ich mir diese Stelle ausgesucht“, lacht Franziska Gunkelmann, die gut geschützt rechts am Zelt auf einer Bank sitzt. Auf dem Tisch neben ihr stehen Keramikgefäße, weiter hinten ein Bandwebstuhl, an dem gerade eine farbenprächtige Borte entsteht. Sie wird später wohl die Kante eines Ärmels oder des Halsausschnittes eines historischen Gewandes zieren. Franziska Gunkelmann indes ist mit einer Handarbeit beschäftigt, die nur auf den ersten Blick aussieht wie eine Häkelei.
Um den linken Zeigefinger der Handarbeiterin läuft ein doppelt gewickelter Faden, den die Handarbeiterin in kompliziertem Auf und Ab durchzieht. „Diese Technik nennt man Nadelbinden“, erklärt sie. Die Technik ist sehr alt und kommt aus Schweden. Gunkelmann und ihre „Familie“, wie sie sie liebevoll nennt, hatten vor Jahren Besuch von Veronika, einer schwedischen Mittelalterbegeisterten, die gern ihre Handarbeitsleidenschaft in ihrer neuen Heimat Deutschland verwirklichen wollte. Fündig wurde sie bei der „Freien Ritterschaft Baden e.V.“, bei der Franziska Gunkelmann 1993 zu den Gründungsmitgliedern gehörte.
Warum begeistert das Mittelalter bis heute?
Sitz der Gruppe ist in Pforzheim, wo man sich an jedem Dienstag zum Training trifft. Gruppenmitglieder kommen dazu ab und an aus Hessen oder Bayern, aber auch aus Stuttgart oder Heilbronn. Trainieren müssen besonders die Schwertkämpfer, aber auch die Tänzer und Sänger. „Die Beschäftigung mit dem Mittelalter gibt für jeden was her“, erklärt Gunkelmann. Hobbykünstlerinnen in Textiltechniken sind genauso willkommen wie Versierte im Backen, Kochen oder bei Metallarbeiten.
Auf der anderen Seite des Marktes haben die „Milites Regis“, historisch Interessierte aus dem kleinen Ort Heyerode im südlichen Eichsfeld in Thüringen, ihr Lager aufgeschlagen. „Das Badehaus und Bogenschießen sind schon immer dabei“, berichtet „Chefin Katy“, wie sie die anderen nennen. Sie ist schon seit 15 Jahren auf dem Markt vertreten. „Inzwischen haben wir viele treue Freunde hier, die jedes Jahr vorbeikommen“, sagt sie. Die Thüringer Bratwürste vom Grill der Landfleischerei Heyerode lassen sich viele schmecken. Katy weiht gerade eine Gruppe von Kindern in die Geheimnisse des Bogenschießens ein.
Im großen hölzernen Badezuber gegenüber ist zwar schon am Nachmittag das Wasser angenehm warm. Doch so richtig lebhaft geht es dort erst nach Sonnenuntergang zu. Dann legen alle in den Umkleidekabinen die Kleidung ab und setzen sich nackt zu zehnt ins warme Wasser. „Am Freitag nach dem Aufbau kamen andere Marktbeschicker hier zum Baden vorbei“, berichtet „Chefin Katy“. „Da kann die Nacht auch mal ziemlich kurz werden.“