Ein in Ungnade gefallener Präsident, der nach einer technischen Panne zurücktritt, ein umkämpftes Ja zur Ausgliederung sowie ein erfolgreicher Putsch – es ging turbulent zu auf etlichen VfB-Mitgliederversammlungen. Wir blicken zurück.
An diesem Samstag um 11 Uhr beginnt in der Schleyerhalle die Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart, für die im Vorfeld ein ruhiger Verlauf erwartet wird. In der Vergangenheit war das oft ganz anders – denn es ging am Wasen gerne emotional zu. Ein Rückblick.
28. Juli 2024 – die Abwahl von Claus Vogt
Es war 14.09 Uhr, drei Stunden nach Beginn der Mitgliederversammlung in der Stuttgarter Porsche-Arena, als es unwiderruflich feststand: Claus Vogt ist als Präsident des VfB Stuttgart abgewählt. 86,03 Prozent der rund 2200 anwesenden stimmberechtigten Mitglieder hatten sich für die Abwahl des Böblinger Unternehmers entschieden, der einst als Mann der Kurve begann – doch am Ende auch das Vertrauen der Fans verspielt hatte.
„Natürlich geht mir das nah“, sagte Vogt, 54, der unter Tränen mit seiner Familie die Halle verließ. Interviews gab es keine mehr. Doch Vogt war mit seinem Scheitern nicht allein: 70,02 Prozent der Mitglieder stimmten im vergangenen Sommer zudem für eine Abwahl des Präsidiumsmitglieds Rainer Adrion. Der 70-Jährige blieb damit zwar formal noch im Amt, da für eine sofortige Abwahl 75 Prozent nötig gewesen wären. Doch Adrion, langjähriger Trainer des VfB II und der U 21 des DFB, machte von sich aus Schluss: „Es ist mir nicht möglich, nach diesem Vertrauensentzug in irgendeiner Form weiterzumachen.“
14. Juli 2019 – die WLAN-Panne
Es war die Mitgliederversammlung von 2019, die als schwarzer Freitag in die Chronik des VfB einging. Denn die Führungskrise des VfB nach dem zweiten Abstieg binnen drei Jahren um den umstrittenen Präsidenten Wolfgang Dietrich, sie nahm auf dieser Versammlung skurrile Züge an: Kurz vor der auf der Tagesordnung vermerkten Abstimmung über seine Abwahl musste der 70-Jährige die Mitgliederversammlung unter den lautstarken Pfiffen etlicher Anhänger abbrechen – weil die Technik streikte.
Zuvor hatten die rund 4500 Anwesenden mehrfach vergeblich versucht, sich mit ihren Handys in ein extra eingerichtetes WLAN des Stuttgarter Stadions einzuloggen, um an Abstimmungen teilnehmen zu können.
Zu jenem Zeitpunkt hatten 65 Anträge zu Wolfgang Dietrichs Abwahl vorgelegen. Einen Tag nach der Mitgliederversammlung trat Dietrich, der am 6. Oktober 2016 als Nachfolger von Bernd Wahler ins Amt gewählt worden war, letztlich entnervt zurück – und gab zugleich das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden ab.
Am 15. Dezember 2019 wurde daraufhin Claus Vogt zum neuen Präsidenten des VfB gewählt. Er hatte sich in einem Zweikampf gegen den Tübinger Großbuchhändler Christian Riethmüller durchgesetzt.
1. Juni 2017 – die Ausgliederung
Über 14 000 der seiner Zeit 55 000 VfB-Mitglieder hatten bereits kurz vor 19 Uhr auf den roten Sitzen im Stadion Platz genommen, die Haupttribüne reichte nicht mehr aus, daher wurde auch auf die Untertürkheimer Kurve ausgewichen; denn es stand bei der Mitgliederversammlung im Sommer 2017 ein ganz besonderes Thema auf der Agenda: die Ausgliederung der Profisparte des VfB in eine AG.
9099 stimmberechtigte Mitglieder nahmen an der elektronischen Abstimmung teil, von ihnen machten letztlich 84,2 Prozent mit einem Ja den neuen Weg des VfB Stuttgart frei. Mit dem Beschluss der Mitgliederversammlung für die Ausgliederung der Fußballabteilung waren gleichzeitig der Verkauf von bis zu 24,9 Prozent der Aktien sowie umfangreiche Satzungsänderungen verbunden.
Beendet war damit eine über Jahre anhaltende, strittige Diskussion. Nach der erfolgten Ausgliederung wurde Wolfgang Dietrich zum ersten Vorsitzenden des Aufsichtsrates der VfB Stuttgart 1893 AG gewählt. Erster Ankerinvestor wurde die Daimler AG, die 11,75 Prozent der Anteile erwarb und dafür 41,5 Millionen Euro zahlte.
17. Juli 2011 – der Meister-Präsident geht
Im Juli 2011 ging auf der Mitgliederversammlung eine Ära freiwillig zu Ende: Erwin Staudt hatte 2003 das Präsidentenamt von Manfred Haas übernommen – und setzte nun den selbst gewählten Schlusspunkt. Staudt hatte zu Amtsbeginn wie sein Vorgänger Haas auf gutes Scouting sowie auf die Nachwuchsförderung gebaut – mit Erfolg.
Der Höhepunkt der jüngeren Vereinsgeschichte, die Meisterschaft 2007, gelang ebenfalls während der Amtszeit des ehemaligen Chefs der IBM Deutschland. Staudt schaffte es mit seinem Team obendrein, das Stadion in eine reine Fußballarena zu verwandeln. An dieser Aufgabe waren viele seiner Vorgänger gescheitert.
Ehe Staudt freiwillig seinen Posten räumte, richtete sich der Groll der Fans auf der Mitgliederversammlung nicht gegen ihn, sondern gegen den Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt als Chef des Aufsichtsrats. Die Zeiten, in denen man den VfB nach Gutsherrenart führen könne, fand das Gros der Anhänger, die seien endgültig vorbei.
Es folgten auf Staudt zwei farblose Präsidenten: Zunächst der ehemalige Porsche-Manager Gerd E. Mäuser (bis 2013), der ein Kandidat Hundts war – und der als wenig diplomatisch in Erinnerung bleibt. Nachfolger von Mäuser wurde der Marketing-Experte Bernd Wahler, der unmittelbar nach dem zweiten Abstieg in der Clubgeschichte des VfB im Sommer 2016 zurücktrat.
18. April 1975 – der Schöngeist muss gehen
Erster Ehrenpräsident des VfB vor Erwin Staudt wurde Gerhard Mayer-Vorfelder. MV hatte im Frühjahr 1975 mit einem erfolgreichen Putsch das Ruder beim VfB übernommen. Sein Vorgänger war Hans Weipert, der ein Schöngeist, aber kein Fußballfachmann war. Vor der Mitgliederversammlung im April 1975 gingen die Dissonanzen so weit, dass sich die Spieler des VfB gegenseitig Prügel androhten.
Der Trainer Albert Sing hatte zu jener Zeit längst jegliche Autorität verloren. Also übernahm Mayer-Vorfelder nach einer Schlammschlacht auf der Versammlung das Ruder („Ich lasse mir nicht absprechen, dass ich ein Herz für den VfB habe“). Doch den ersten Abstieg der Stuttgarter in Liga zwei als einstiges Bundesliga-Gründungsmitglied ein paar Wochen später, den konnte auch er nicht verhindern.
Mayer-Vorfelder blieb ein Vierteljahrhundert bis ins Jahr 2000 der Präsident des VfB, bevor er ab 2001 selbiges Amt für den DFB ausübte. Mayer-Vorfelders größte sportliche Erfolge waren die zwei Meisterschaften 1984 und 1992. Seine Doppelfunktion als Landesminister für Kultus und Sport, sowie später für die Finanzen, und dies kombiniert mit der Rolle als Bundesliga-Fußballchefs wären heute undenkbar. Obwohl Mayer-Vorfelder den VfB bei seinem Abgang im Jahr 2000 mit Schulden hinterließ, war er eine der markantesten Persönlichkeiten des deutschen Fußballs.
Sein Nachfolger, der gelernte Bankkaufmann Manfred Haas, musste aus Finanznot die Ausgaben streichen – und entwickelte so zwischen den Jahren 2000 und 2003 erfolgreich das Konzept der „Jungen Wilden“. Haas‘ Sohn Jochen tritt nun an diesem Samstag als einer von drei Kandidaten für die Präsidentschaft ans Rednerpult bei jüngsten Ausgabe der Mitgliederversammlungen des VfB.