Sind so oft wie möglich in der Natur: Der Obstkundler Matthias Braun (links) und der Landschaftsgärtner Eric Raasch setzen sich für den Erhalt von Streuobstwiesen ein. Foto: Jürgen /Bach

Der Landschaftsgärtner Eric Raasch und der Obstkundler Matthias Braun setzen sich seit Jahren für alte Obstsorten ein. Dazu haben sie das äußerst erfolgreiche Projekt Sortenerhalt Hemmingen ins Leben gerufen. Was dahinter steckt, erfahren Interessierte am Sonntag vor Ort.

Gefunden haben sie sich im Jahr 2018. Seitdem sind Eric Raasch und Matthias Braun so aktiv wie erfolgreich. Den Landschaftsgärtner und den Obstkundler verbindet die Leidenschaft für Streuobst. Vor fünf Jahren haben sie daher das Projekt Sortenerhalt Hemmingen ins Leben gerufen, an jenem Tag anno 2018, als sie am Eulenberg vier Luikenapfelbäume gepflanzt haben. Die Sorte ist selten und alt, war vor 150 Jahren in Württemberg weit verbreitet. Braun sagt: „Er war ein Superstar der damaligen Zeit.“

Bekannt und gefragt über die Ortsgrenze hinaus sind mittlerweile auch die Erzeugnisse, die Matthias Braun aus Streuobst herstellen lässt. Der 54-Jährige ist für die Produktion und Vermarktung von zum Beispiel Apfelsaft und Obstbränden zuständig, wohingegen Eric Raasch die Streuobstbäume in Schuss hält. „Er macht den technischen Teil, ich den administrativen“, formuliert es Matthias Braun, der als Verwaltungsbeamter arbeitet, wenn er nicht gerade durchs Grüne streift. Er und Eric Raasch haben sich neben der Herstellung von Produkten auf die Fahne geschrieben, unbekannte Sorten an uralten Bäumen zu bestimmen und neu zu entdecken, geeignete Reiser zur Veredelung auf einer Hochstammunterlage zu gewinnen, Sorten für die Erhaltung nachzupflanzen und ihr Wissen weiterzugeben.

Hilfreiche Ausbildung zum Baumkletterer

Er sei mehr als 20 Jahre lang ein Einzelkämpfer gewesen, ehe Eric Raasch als perfekte Ergänzung ins Boot kam, berichtet der Pomologe Braun. Ohne den 51-Jährigen wären ihm weder Schnitt und Erhaltung der Bäume möglich noch unkomplizierte Kontakte zu Baumschulen. Eric Raasch wiederum hegte und pflegte bis dato lediglich die Bäume der Gemeinde Hemmingen. Dank der Zusammenarbeit mit Matthias Braun schaue er über den Tellerrand und kümmere sich auch etwa um Einzelexemplare und Privatgrundstücke. Die Ausbildung zum Baumkletterer helfe ihm, sich an große Bäume heranzuwagen, sagt Eric Raasch. Seit geraumer Zeit nehmen er und Braun sich zusätzlich jedes Jahr ein, zwei Solitärbäume vor, die sie schneiden, um das Wachstum anzuregen oder ihr Gewicht zu reduzieren. Im Februar waren die wiederentdeckte Wöhrlesbirne in Heimerdingen und der Postmichel, eine Apfelsorte, in Weissach dran. Grundsätzlich erhalte man Streuobstwiesen, indem man sie nutzt, sagt Eric Raasch. Doch er stelle oft fest, „wie das Obst zentnerweise verrottet“.

Dass es das Hauwiesle am Viehweg nutzen kann, kommt dem Duo mehr als gelegen. Das Grundstück gehört der Gemeinde, die dem Obst- und Gartenbauverein den oberen Teil samt Hütte überlassen hatte, bis der Verein sich auflöste. Nun richten sich Raasch und Braun auf dem Areal ein Kompetenzzentrum inklusive kleiner Baumschule ein. Die Einweihung mit einer Verkostung ist an diesem Sonntag, 2. April, um 14 Uhr.

Große Pläne für das Hauwiesle

Vor allem Eric Raasch hat viel vor auf dem Gelände mit Apfel- und Birnbäumen – alte und verbreitete Sorten wie der Brettacher Apfel. Er wolle aus dem Grundstück einen Garten machen, der beispielhaft viele verschiedene Strukturen zeige: junge Bäume, Sträucher, gemähtes Gras, Gras, das sich selbst überlassen bleibt, Zierpflanzenbeete, Altholz, ein Trockenhabitat. Die Leute, so wünscht es sich Eric Raasch, sollen stutzen, nachhaken. Und sich einbringen, wie ein Imker, der bereits zwei Bienenstöcke aufgestellt hat. Raasch und Braun sind gespannt, welche Tiere sich ansiedeln. Sie sprechen von einer „Wundertüte Hauwiesle“.

Auf dem Grundstück und drumherum standen einmal tausende Streuobstbäume. Jetzt ist die Zahl überschaubar. Insgesamt sei der Bestand an Streuobst rückläufig, bedauert Eric Raasch. Hätten die Menschen früher das Obst angebaut, um zu überleben, sei dies seit der Industrialisierung nicht mehr nötig. Doch alte Sorten als Genpool seien auch deshalb wichtig, weil man aus diesem neue Züchtungen herausarbeiten könne – und damit auf den Klimawandel reagieren. So stößt das Projekt Sortenerhalt unter anderem auch bei der Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg auf großes Interesse. Wegen des Klimawandels widmen sich die Experten besonders den sehr spät blühenden und daher gut gegen Spätfröste geeigneten Luikentypen in Hemmingen.

Garten um Rarität wächst

Apropos: Ende des Jahres wird der Luikensorten-Erhaltungsgarten zwischen dem Wengertweg und der Bahnlinie am Ortsausgang Richtung Schwieberdingen weiter bepflanzt. Dort wächst ein rund 100 Jahre alter Baum, der in der Region eine Rarität ist: eine sortenreine Ur-Luike. Matthias Braun hatte sich dafür eingesetzt, dass um den Apfelbaum ein ganzer Garten entsteht.

Eric Raasch und Matthias Braun weihen ihr neues Domizil an diesem Sonntag, 2. April, ein und stellen sich und ihr Projekt Sortenerhalt Hemmingen vor. Los geht es um 14 Uhr auf dem Hauwiesle am Viehweg bei den Sporthallen und -anlagen. Es gibt auch eine Verkostung.

Streuobstwiesen werden immer seltener

Bestand
 Für den Kreis Ludwigsburg liegen dem Landratsamt Zahlen vor: Demnach ging der Bestand an Streuobstbäumen seit dem Jahr 2008 von knapp 400.000 (auf 4000 Hektar, knapp sechs Prozent der Kreisfläche) auf 216.000 zurück. Durch verschiedene Messverfahren seien die Zahlen aber mit Vorsicht zu genießen, betont der Sprecher Andreas Fritz. Vergleiche man die Dichte der Streuobstbäume mit anderen Kreisen, liege Ludwigsburg mit einer Dichte von 3,16 Bäumen pro Hektar im oberen Drittel. Die größten zusammenhängenden Streuobstgebiete sind in Großbottwar (10.722 Bäume), Markgröningen (8683), Oberstenfeld (6326), Bietigheim (5936) und Besigheim (5931). Ludwigsburg hat 4780 Bäume. In Gebieten mit hohem Anteil an Ackerbaukulturen wie im Strohgäu sei der Streuobstanteil naturgemäß geringer. „In diesen Orten waren dafür viele landschaftsprägende Solitärbäume zu finden.“

Sterben
Mögliche Ursachen für den starken Rückgang seien, dass die Streuobstwiesen oft zur selben Zeit – zum Teil vor dem Zweiten Weltkrieg – gepflanzt worden und schon sehr alt oder überaltert seien. Der Mistelbefall und die sehr heißen und trockenen Sommer der vergangenen Jahre hätten die Bäume zusätzlich geschwächt. Auch habe vielerorts ein Generationswechsel auf den Wiesen stattgefunden, sodass hier ein Pflegedefizit entstanden sei, das es teils immer noch zu beheben gelte. Dann ist da noch der Schwarze Rindenbrand: Die Pilzerkrankung habe die Bestände stark befallen und führe vielerorts zum Absterben der Bäume. Allerdings: „Ein Großteil der Jungbäume ist gar nicht erfasst“, sagt der Sprecher Fritz.

Erhalten
Für die Erhaltung von Streuobstwiesen gibt es kreisweit etliche Projekte. Gerade im waldärmsten Landkreis Ludwigsburg hätten sie wichtige Ausgleichsfunktionen, neben Arten- und Biotopschutz auch für Boden, Wasser, Klima, Naherholung und Naturerlebnis, heißt es aus dem Landratsamt. Sie prägten den Kreis in besonderer Weise, seien Kulturgut und „Kernstück unserer historisch bedeutenden und Identität und Heimatgefühl vermittelnden Kulturlandschaft“. Die Obst- und Gartenbauberatungsstelle sei seit dem Jahr 2020 aktiv beim Streuobstprojekt im Kirbachtal dabei und unterstütze es bei verschiedenen Aktionen. Jenes Projekt fördert unter anderem die Kreissparkassen-Stiftung „Umwelt und Naturschutz“. Im Winter gibt es einen Fachwartkurs: Er vermittelt alles Wichtige über Obstbaumpflege und -schnitt.