Björn Vetter vom Deutschen Roten Kreuz packt in Kirchheim/Teck die letzten Schlafsäcke aus – ansonsten ist das Logistikzentrum fast leer Foto: Lichtgut/Horst Rudel

Normalerweise schickt Deutschland Hilfsgüter in alle Welt. Inzwischen ist es umgekehrt. In Kirchheim/Teck steht das Zentrallager für die Ausstattung vieler Flüchtlingsunterkünfte im Land. Jahrelang dämmerte es vor sich hin, jetzt ist man auf Hilfe aus Übersee angewiesen.

Stuttgart/Kirchheim/Teck - So schnell kann’s gehen im Leben. Besonders wenn man derzeit mit der Unterbringung von Flüchtlingen zu tun hat. Eigentlich wollte Björn Vetter vom Landesverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) riesige Mengen Matratzen und Feldbetten zeigen. Doch jetzt gähnen da nur leere Regale. Denn im Katas-trophenschutzlager am Rande von Kirchheim/Teck ist am Vorabend und am frühen Morgen Besuch vorstellig geworden. Das Land hat dringend Material gebraucht für die Ausstattung weiterer Flüchtlingsunterkünfte – und die Hallen sind fast leer geräumt. „Die Lage kann sich derzeit innerhalb weniger Stunden komplett ändern“, weiß der DRK-Referatsleiter für Internationale Soforthilfe.

Die rund 3500 Quadratmeter großen Hallen dienen als Ausstattungsreserve für die Erstaufnahmestellen und Notunterkünfte des Landes. Wenn die zuständigen Regierungspräsidien nicht mehr wissen, woher sie Betten, Schlafsäcke und anderes Material für die enorme Asylbewerberwelle bekommen sollen, wendet sich das Innenministerium ans Rote Kreuz. Das liefert, was auch immer vorhanden ist, und bekommt die Kosten später vom Land ersetzt.

Allein 50 000 Schlafsäcke sind von Kirchheim aus in den vergangenen Monaten verteilt worden. 25 Euro hat jeder gekostet, 50 bis 60 Euro sind für ein Feldbett veranschlagt. Speditionen, das Technische Hilfswerk, das DRK selbst und Lastwagen der Bundeswehr fahren das Material quer durchs Land von Wertheim bis Villingen-Schwenningen. Doch es wird immer schwieriger, Nachschub zu bekommen. „Bei Feldbetten liegen die Lieferzeiten inzwischen bei vier Wochen bis drei Monaten“, weiß Vetter. Mittlerweile musste man ersatzweise auch schon 1500 alte Luftmatratzen ausliefern.

19 000 Feldbetten aus Nordamerika

„Wir gehen nur auf seriöse Angebote ein“, sagt Vetter. So mancher Produzent versuche durchaus, Profit aus der Krise zu schlagen, auch wenn die Preise noch halbwegs stabil seien. Vor kurzem etwa kam eine Offerte aus China. 20 000 Feldbetten wurden angepriesen. Doch allein der Transport wäre unbezahlbar gewesen. Also muss das DRK inzwischen auf die Hilfe seiner internationalen Verbände zurückgreifen. 19 000 Feldbetten hat das Rote Kreuz aus Kanada und den USA geschickt. Die letzten 2000 davon sollen an diesem Mittwoch in Kirchheim eintreffen, dann sind auch sie vergriffen. „Es ist sehr ungewohnt für uns, Hilfslieferungen aus aller Welt zu erhalten“, sagt Vetter, „normalerweise läuft das andersrum.“

Dafür war zuletzt auch das Kirchheimer Lager gedacht. Dort stehen noch einzelne Rollstühle, Reste von Krankenhaus-Mobiliar türmen sich in einer Ecke. An der Wand hängen Fähnchen mit Aufschriften wie „Erdbeben-Hilfe Iran November 68 bis April 69“. Zuletzt hat das DRK im Auftrag der Osteuropahilfe des Landes von diesem Umschlagplatz aus Material zu Kliniken und Altenheimen in der Ukraine oder Rumänien gebracht. Das Programm wird aus Finanzierungsgründen nicht mehr weiterbetrieben, der Rest vollends verschickt.

„Eigentlich sind die Hallen ein Relikt des Kalten Krieges“, weiß Vetter. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier Material für den Katastrophenschutz im Inland, aber auch für Auslandseinsätze gelagert. Wirklich für Katastrophen in der Umgebung gebraucht hat man es nie – ein Gelände im Dornröschenschlaf. Von der Zahnbürste über den Trainingsanzug bis zum Zelt war alles vorrätig. Was noch brauchbar war, ist für Flüchtlinge rausgegangen. Einiges ist aber noch reserviert für eventuelle Katastrophen im Inland. Die Versorgung der Bevölkerung, versichert der Experte, wäre über die Landkreise und das DRK auch jetzt sichergestellt, falls etwas passieren sollte.

DRK fordert höheren Vorrat an Hilfsgütern

Das Land selbst lagert kein Material. Das war über Jahrzehnte nicht notwendig, wird jetzt aber zum Problem. Lorenz Menz, Präsident des DRK-Landesverbandes, hat deshalb in dieser Woche „eine deutlich ausgeweitete Vorhaltung von Hilfsgütern“ gefordert. So auf Kante genäht, wie die Materiallogistik derzeit abläuft, soll sie in Zukunft möglichst nicht mehr sein.

Björn Vetter hofft auf eine baldige Entspannung der Lage. Nicht etwa, weil weniger Flüchtlinge kämen: „Die Hersteller von Hilfsgütern steigern die Produktion.“ Falls das Land winterfeste Zelte brauchen sollte, besteht trotzdem keine Hoffnung: Die haben derzeit Lieferzeiten bis zu sechs Monaten.