Hier darf nicht Fußball gespielt werden. Foto: /Pressefoto Rudel/Herbert Rudel

Fast die Hälfte aller Stuttgarter sind Mitglieder in einem Sportverein. Doch ihre Zahl sinkt. Kein Wunder: Da kein Sport getrieben werden darf, tritt auch keiner ein. Das wird zum Problem für die Vereine. Was tun?

Stuttgart - Es war einmal: Da suchten Sportvereine Übungsleiter und Ehrenamtliche. Nun sind die begehrtesten Kräfte Steuerberater. Sie müssen herausfinden, wo man Geld herbekommen kann, ob man Novemberhilfen, Dezemberhilfen, Überbrückungshilfen eins bis drei, Kurzarbeitergeld oder Existenzhilfen erhält, um den Betrieb am Laufen und den Verein am Leben zu erhalten. Es wird eng, deshalb bitten die Vereine die Stadt um Hilfe. Ein Überblick.

 

Der Hilferuf

Neun Vereine haben einen gemeinsamen Brief an die Stadt geschrieben. Darin heißt es: „Die Pandemie hat für die Vereine massive finanzielle Auswirkungen (. . .), die Einbußen durch fehlende Zusatzbeiträge, Einnahmen aus Kooperationen und Erträgen aus Vermietung und Verpachtung waren im Jahr 2020 bereits deutlich spürbar.“ Dank der Bereitschaft der Mitglieder, auf Erstattung der Beiträge zu verzichten, und der Hilfe der Stadt habe man Verluste teilweise ausgleichen können. Nun seien aber die Mitgliederzahlen um fünf Prozent gesunken. Da nicht absehbar sei, wann man wieder im Verein Sport treiben könne, „gehen wir von weiter sinkenden Zahlen“ aus. Man erbringe mit „der Zusammenarbeit an vielen Schulen und Kindergärten, mit Angeboten zur Prävention und Rehabilitation, Integration und Inklusion elementare Leistungen für die Gesellschaft“. Um dies verlässlich und in hochwertiger Qualität anzubieten, beschäftigen die Vereine „in erheblichem Umfang vor allem hauptamtliches Personal“. Weder könnten die Kurzarbeitregeln die gesamten Aufwendungen ausgleichen noch die November- und Dezemberhilfe die fehlenden Umsätze. Deshalb halte man „es für notwendig, die Vereine im Jahr 2021 nochmals durch finanzielle Hilfen strukturell zu stärken“.

Die Mitgliederzahlen

Die rund 200 Stuttgarter Sportvereine hatten 254 000 Mitglieder. Von den zehn- bis 14-jährigen Stuttgartern sind sage und schreibe 74 Prozent Mitglieder in Sportvereinen. Das war der Stand zum 31. Januar 2020. Wie sich die Pandemie auswirkt, wird man Ende dieser Woche ganz genau wissen. Doch sicher ist jetzt schon, es wird einen Rückgang der Mitglieder geben, von fünf Prozent sprechen die Stuttgarter Vereine in ihrem Brief. Beim MTV Stuttgart zählt man statt 9122 nur noch 8577 Mitglieder. „Unsere bisherigen Mitglieder sind uns treu“, sagt Vizepräsident Karsten Ewald, „aber wir haben keine Neueintritte.“ Logischerweise, denn wer tritt schon ein, wenn er das Angebot nicht nutzen kann. Derzeit ruht der Sportbetrieb in fast allen Bereichen. In normalen Jahren wird der Rückgang durch Tod oder Wegzug mehr als ausgeglichen durch neue Mitglieder. Auch bei der Sportvg Feuerbach macht man diese Erfahrung. Dort ging die Zahl der Mitglieder zurück von 6300 auf 6006.

Die Finanzen

Die Stuttgarter Sportvereine sind schon lange in der Moderne angekommen. Mit Turnvater Jahn haben gerade die großen Sportvereine nichts mehr zu tun. Sie betreiben Fitnessstudios und Kitas, bieten Kurse aller Art an. Und verdienen damit Geld, um den Breitensport zu finanzieren. Das bricht nun alles weg. Dem MTV fehlen so 60 000 Euro im Monat. Die Sportvg Feuerbach verzeichnet bei ihrem Fitness- und Gesundheitszentrum einen Rückgang von Mitgliedern um zehn Prozent. Geschäftsführer Benjamin Haar sagt, „damit fehlt uns ein sechsstelliger Betrag“. Der MTV hat 46 Festangestellte, die allermeisten sind in Kurzarbeit. Ewald: „Wir stocken auf 100 Prozent des Gehalts auf.“ Die Minijobber versucht man zu beschäftigen, etwa um bei den Mitgliedern anzurufen oder um die mittlerweile 400 Fitnessvideos zu produzieren. Beim TB Cannstatt mit seinen 1400 Mitgliedern fallen die Einnahmen aus der Tennishalle komplett weg, sagt Vorstand Stefan Conzelmann. Gleichzeitig erlasse man dem Pächter der Vereinsgaststätte die Pacht. „Der verdient ja auch nichts. Wir wollen ihm helfen, dass es weitergeht.“

Die Schwimmer

Sie sind besonders gebeutelt. Ihren Sport können sie nun mal nur im Bad ausüben. Die Bäder sind aber geschlossen. Der Schwimmerbund Schwaben 1895 Stuttgart hat von seinen 600 Mitgliedern zehn Prozent verloren, schätzt der Vorsitzende Alexander Wolff. Zwei Probleme plagen sie besonders. Sie können keine Schwimmkurse anbieten, dadurch fehlt Geld, „aber schlimmer noch: 5000 Stuttgarter Kinder lernen gerade nicht Schwimmen“. Man habe ohnehin lange Wartelisten für die Kurse, „es steht zu befürchten: Nach dem Lockdown wird nicht jedes Kind zum Zuge kommen können“. Die Sportler der ersten Mannschaft, die können schon schwimmen, und das so gut, dass sie auf Medaillen bei deutschen Meisterschaften hoffen können. Aber nicht gut genug, um laut der Landesverordnung Sport trainieren zu dürfen. Die erlaubt das nur Kader-Athleten. Wolff: „Ohne tägliches Training sinkt die Leistung.“ Das sei nicht aufzuholen. Und ist im Einzelfall dramatisch, wie bei der Schwimmerin, die mit einem Sportstipendium in den USA studieren will und dafür gute Zeiten abliefern muss. Es kann auch dazu führen, „dass wegen der fehlenden Perspektive unsere Leistungssportler aufhören“.

Die Radler

Es ist eine Erfolgsgeschichte. Der Mountainbike-Verein Stuttgart ist im vergangenen Februar gegründet worden und hat nun bereits knapp 1300 Mitglieder. Natürlich hat dazu der Streit um die Nutzung des Waldes beigetragen, der erbittert geführt wird zwischen Spaziergängern, Naturschützern und Radlern. „Unsere Mitglieder möchten, dass wir ihnen politisch eine Stimme geben“, sagt der für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Simon Kirchgeßner. Das funktioniert schon ganz gut, das Zusammenwachsen des jungen Vereins allerdings ist erschwert. Gemeinsame Ausfahrten, Techniktraining, das geht derzeit nicht. Allerdings haben sie einen großen Vorteil: Den Mountainbikern ist ihr Sport erlaubt.

Die Hilfen

Die Vertreter der Vereine sind voll des Lobes für die unkomplizierte Hilfe der Stadt. Eine Million Euro gab es an Existenzhilfen, eine weitere Million Euro wurde verteilt, sieben Euro je Mitglied. „Das hat schnell und wirksam geholfen“, sagen Ewald und Haar unisono. Vom Land gab es 11,6 Millionen Euro Existenzhilfe, die haben 40 Stuttgarter Vereine beantragt.

Der Ausblick

Viele Vereine haben Rücklagen gebildet für Bauprojekte und Sanierungen. Feuerbachs Geschäftsführer Benjamin Haar sagt: „Zur Not müssen wir da ran.“ Beim TB Cannstatt würde man gerne die Flutlichtanlage „energetisch sanieren“ und mit LED ausstatten. „Ein Drittel Eigenanteil muss man bringen“, sagt Conzelmann, „aber wenn wir die Rücklagen auflösen müssen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, geht das nicht.“ Die Stadt soll wieder in die Bresche springen, fordern die Stadträte von SPD und CDU. Das Land hat bereits reagiert und weitere 7,5 Millionen an Existenzhilfen für 2021 zur Verfügung gestellt. Damit es nicht demnächst heißt, die Sportvereine, das war einmal.