Wegen Unzucht musste Helmut Kress als 15-Jähriger ins Zuchthaus. Der Tübinger Kneipenwirt hat 4500 Euro für die Haftzeit erhalten. „Eine späte Genugtuung“, wie er sagt. Foto: Gottfried Stoppel

Der Bundestag hat schwule Justizopfer rehabilitiert und ihnen eine Entschädigung zugesprochen. In 53 Fällen wurden Anträge ausbezahlt – viel weniger als erwartet.

Berlin - Seit das Gesetz zur Rehabilitierung homosexueller Justizopfer im Juni 2017 verabschiedet worden ist, hat eine viel geringere Zahl an Opfern eine Entschädigung erhalten als erwartet. Bisher seien in 55 Fällen Anträge bewilligt und 247 000 Euro ausbezahlt worden, sagt eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums. Es habe 79 Anträge gegeben, einige würden noch bearbeitet, wenige seien negativ beschieden worden.

„Die Zahlen sind ernüchternd“, sagt Jörg Litwinschuh, der Vorsitzende der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. „Wir sind von Tausenden Antragstellern ausgegangen und hatten gehofft, dass sich wesentlich mehr melden würden.“ Viele trauten sich nicht, ihre Ansprüche geltend zu machen, weil das Thema noch immer mit Angst und Schuldgefühlen besetzt sei, sagt Litwinschuh. „Aus Schmach haben etliche ihre Akten von damals vernichtet.“ Für die Unterlagen zur Dokumentation ihrer Haftzeit müssten sie sich an die Staatsanwaltschaft wenden, doch die Strafverfolgungsbehörde zu kontaktieren sei ein Schritt, den viele scheuten. Einer, der vor Kurzem entschädigt wurde, ist der Tübinger Wirt Helmut Kress. Wegen Unzucht mit Männern ist er als 15-Jähriger inhaftiert worden und verlor daraufhin seine Lehrstelle. „Es ist eine späte Genugtuung dafür, dass ich im Zuchthaus war – es ist nur gerecht, dass sie erfolgt ist“, so der 71-Jährige, dem 4500 Euro überwiesen wurden. „Ich hatte lange nicht geglaubt, dass das Gesetz in Deutschland kommt“, sagt Kress, „umso mehr habe ich mich über den symbolischen Betrag gefreut.“ Mit dem Geld will sich der Gastronom eine Urlaubsreise gönnen.

Der Tübinger Wirt Helmut Kress hat für seine Zeit im Zuchthaus 4500 Euro erhalten

Das Bundesjustizministerium war von maximal 5000 Anträgen auf Entschädigung ausgegangen. Pro Person sind laut Gesetz pauschal 3000 Euro vorgesehen sowie 1500 Euro für jedes angefangene Jahr im Gefängnis. Der frühere Paragraf 175 im Strafgesetzbuch, der in der Kaiserzeit eingeführt wurde und im Nationalsozialismus die Grundlage für die Verfolgung und Ermordung Homosexueller war, galt auch in der Bundesrepublik und DDR weiter fort. Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden in der Bundesrepublik bis 1969 rund 50 000 Männer wegen ihrer Homosexualität verurteilt. Dann wurde der Paragraf entschärft, aber erst 1994 komplett abgeschafft.

Eine extra eingerichtete Hotline der Bundesinteressenvertretung Schwuler Senioren (BISS) hilft beim Ausfüllen und Abgeben des Antrags. Die Beratungshotline werde gut angenommen, sagt BISS-Vorstand Georg Härpfer, aber dennoch wüssten leider längst nicht alle Betroffenen von dem Angebot. Es würden Anzeigen etwa in Apotheken-Fachzeitschriften geschaltet, um gezielt Senioren zu erreichen. Diese hätten oft keinen Zugang zum Internet.