Martin Rubin und Andrea Reichert gehören zum Stuttgarter Team der Flüchtlingshilfsorganisation Arrival Aid. Foto: Cedric Rehman

Der Verein Arrival Aid bereitet Asylbewerber auf die Anhörung im Bundesamt für Migration vor. Dabei geht es um kulturelle Fallstricke, die das Gespräch erschweren.

S-Ost - Das schnelle Mittagessen muss noch sein. Andrea Reichert und Martin Rubin füllen sich ihre Teller mit Käsespätzle und Schüsseln mit Salat. Reichert kommt gerade von ihrer Arbeit. Nachmittags steht Organisatorisches für sie im Büro der Flüchtlingshilfsorganisation Arrival Aid an der Landhausstraße auf dem Programm. Rubin schenkt dem Gast eine Tasse Tee ein. Ganz so als wäre er in einem Gespräch mit einem Flüchtling, der sich auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration (Bamf)vorbereiten will und damit auf das Interview, das über das weitere Leben in Deutschland entscheiden wird.

Schwarztee und Kekse bekomme jeder serviert, der bei Arrival Aid um Unterstützung bittet, meint Rubin. Er trägt Sakko, Hemd und einen Seidenschal. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass Rubin, wie er sagt, aus der Wirtschaftswelt kommt. Er habe 15 Jahre lang selbstständig in der IT-Branche gearbeitet, erzählt er. 2015 standen dann die Flüchtlinge vor Deutschlands Grenzen. Drei Jahre später hat sich Rubin schon eine Weile aus besagter Wirtschaftswelt verabschiedet. Er arbeitet in Stuttgart hauptamtlich für den 2014 in München gegründeten Verein. Dass der Verein Arrival Aid nicht gerade den Klischees über die Flüchtlingshilfe entspricht, lässt sich schon an seinen Sponsoren erkennen. Microsoft ist dabei oder der Rückversicherer Munich RE. Rubin zählt in Stuttgart unter anderem die Bürgerstiftung zu den Förderern von Arrival oder berichtet von seinen Kontakten zu Rotariern. Der Verein sammelte viele prominente Förderer in einer Zeit, in der das Engagement für Flüchtlinge nur wenigen sauer aufstieß.

Die Willkommenseuphorie ist nun längst einem landesweiten Kater gewichen. Doch die Unterstützer aus der Anfangszeit des Vereins blieben bis heute treu. Schwieriger sei es dagegen, neue Ehrenamtliche zu finden, meint Andrea Reichert. Zumal das Engagement bei Arrival Aid zeitintensiv sein kann, wenn es ernst genommen wird, sagt sie. Nicht nur mögliche Helfer, auch die Asylbewerber und deutsche Unterstützer müssten zunächst sich klar werden, was Arrival Aid leistet und was nicht, meint Reichert. Sie erzählt von einer Deutschen, die einen Termin für einen befreundeten Asylbewerber ausmachen wollte. „Sie rief dann an und meinte, sie bräuchte keinen Termin mehr, da sie nun einen Anwalt gefunden habe“, erzählt Reichert.

Laien erteilen in Deutschland keine Rechtsberatung. Der Verein definiert seine Aufgabe ganz anders. Er will Asylbewerber auf die Situation vorbereiten, die sie bei der Anhörung im Bamf erwartet. Oft käme es dabei zu Missverständnissen, die mit unterschiedlichen kulturellen Voraussetzungen zu tun haben. Der Respekt vor Behörden sei in vielen autoritär geprägten Gesellschaften so groß, dass einige Flüchtlinge sich nicht einmal trauten, um eine Klopause zu bitten. Viele seien sich auch nicht bewusst, dass ihre Termine nicht dann enden, wenn ein Bamf-Mitarbeiter mal auf die Uhr schaut. Die Ehrenamtlichen besprechen mit den Asylbewerbern auch ihre Fluchtgeschichte. Rubin stellt klar, dass seine Ehrenamtlichen den Flüchtlingen keine Tipps geben, wie sich Asylchancen erhöhen können. „Wer bei uns arbeitet, unterschreibt, dass er sich der Wahrhaftigkeit verpflichtet“, sagt er.

Das Ausschmücken der Realität schade im Asylverfahren ohnehin mehr, als das es nutze. „Die Interviewtechniken der Bamf-Mitarbeiter sind so gut, die kommen so etwas immer auf die Schliche“, sagt Rubin.

Er erzählt, dass einmal ein Mann aus Afrika sich ihm offenbart hat, dass er aus wirtschaftlicher Not sein Land verlassen hat. „Er hat mich dann gefragt, was er beim Bamf sagen soll und ich habe ihm geantwortet, die Wahrheit. Vielleicht hat er so noch die Chance auf Arbeitsmigration“, erzählt Rubin. Skepsis gegenüber offenen Grenzen würden sogar manche der Ehrenamtlichen bei Arrival Aid teilen. Im Zuge der aktuelle Flüchtlingsdebatte gerät aus Rubins Sicht aber in Vergessenheit, dass Geflüchtete Anspruch haben auf ein faires Asylverfahren. „Das wollen wir ihnen ermöglichen“, sagt Rubin.