Weil Thomas Memmler es nicht mehr ausgehalten hat, junge Männer ohne Perspektive vor dem Fernseher vergammeln zu sehen, hat er sich zum Arbeitserzieher ausbilden lassen. Jetzt betreibt er das Werkstättle des Hans-Sachs-Hauses.
S-Süd - Erstmals in der Ausbildung zum Bauflaschner bemerkte Thomas Memmler seinen Draht zu Menschen, die andere für schwierig halten. 1985 kam er als Haustechniker ins Hans-Sachs-Haus. Dort ist Memmler noch heute, seit zehn Jahren jedoch in anderer Funktion: als Arbeitserzieher und Leiter eines Werkstattprojekts, das den im Leben aus- und abgerutschten Teilnehmern die Hoffnung zurückgeben soll – und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten.
Es sind nur wenige Schritte von der lauten Hauptstätter Straße in den Hinterhof. Doch die Holzwerkstatt ist eine Welt für sich. An der Drechselbank tanzen Späne durch die Luft, Männer feilen, sägen, schrauben, schmirgeln an Vogelhäuschen, Schmuckschatullen, Windlichtern und Schaukelpferden. Thomas Memmler wühlt in einer Box, zieht zwei Salz- und Pfefferstreuer heraus. „Die sind auch hier entstanden“, sagt er. Das Bürokratendeutsch nennt das, was im Werkstättle geschieht, Arbeitsgelegenheiten mit Bildungs- und Qualifizierungsanteilen für erwerbsfähige, langzeitarbeitslose Menschen. Finanziert durchs Sozialamt oder Jobcenter üben sich zwölf Männer maximal sechs Monate in handwerklicher Produktion. Ziel: die Teilnehmer für den Arbeitsmarkt fit und interessant zu machen. Weil auf diesem aber auch deutlich besser ausgebildete Menschen mit geradlinigeren Lebensläufen häufig keinen Job finden, landen die Männer aus dem Werkstättle entweder auf den Listen von Zeitarbeitsfirmen oder dürfen wiederkommen, allerdings höchstens dreimal innerhalb von fünf Jahren.
Der Tag braucht eine Struktur
Als das Projekt, das Memmlers Babys ist, im Januar 2003 zunächst auf Spendenbasis anlief, steckte der Leiter mitten in einer dreijährigen Ausbildung zum Arbeitserzieher. Es habe ihm das Herz gebrochen zu sehen, wie die Bewohner des Hans-Sachs-Hauses vor den Fernsehern in ihren Zimmern versauerten, entmutigt durch die Perspektivlosigkeit. „Einige haben mir bei Arbeiten im Haus geholfen und ich habe gesehen, wie sehr sie aufblühten“, erinnert sich der 49-jährige Winterbacher, der noch einmal die Schulbank drückte und Psychopathologie und Pädagogik paukte. Was er aus der Praxis kannte, erhielt einen Hintergrund: „Ich habe den Namen des Gerichts nicht gekannt, aber ich hatte es schon häufig gekocht.“
Struktur in einen Tagesablauf zu bringen, dem es sonst an Haltegriffen fehlt, ist für Memmler ein wesentlicher Zweck des Projekts, den Männern Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl zu lehren ein anderer. „Die Arbeit ist ein wunderbares Mittel, um sich wieder mehr als Mensch zu fühlen“, sagt er. Neben der Holz- gibt es eine Metallwerkstatt mit Schmiede, dazu einen Computerraum, über dessen Eingang ein verzweifelter Teilnehmer einst ein Plakat hängte. „Lass alle Hoffnung fallen“, steht darauf – als augenzwinkernde Warnung an die Eintretenden, die teilweise nie eine Maus in der Hand hielten.
Die Männer sollen auch mal utopische Dinge angehen
Es sind kleine Schritte, mit denen Memmlers Männer voranschreiten, aber sie führen nach vorne. In Gesprächen über Ziele ermutigt er sie gerne, „auch mal utopische Sachen anzugehen“. Einer von ihnen, Rainer Schubert, vollendete im Hans-Sachs-Haus ein Projekt, in das er Hunderte Stunden mühsame Arbeit investierte: ein hölzerner Miniaturnachbau der Burg Hohenzollern. Er sucht einen Käufer.
Was Memmler antreibt, ist die stete Hoffnung auf wirksame Selbstheilungskräfte. Darauf, dass die Menschen, die teils selbst-, teils fremdverschuldet im existenziellen Abseits gelandet sind, hinterher nicht wieder in den alten Trott zurückfallen, wieder nur auf ihren Zimmer hocken und in eine Flimmerkiste starren. „Wenn der Wille zur Veränderung nicht da ist, kämpfe ich mit stumpfen Waffen“, sagt er. Bei den meisten jedoch sei er da. „Wenn die Teilnehmer etwas schaffen, von dem sie nie geglaubt hätten, dass sie es können, gibt mir das die größte Motivation.“