Pfarrer der Paulusgemeinde in Stuttgart: Kurt G. Wolff Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

„Die Frage, die sich uns stellt“, sagt Kurt G. Wolff, Geschäftsführender Pfarrer der Paulusgemeinde in Stuttgart in einem Gastbeitrag für die „Stuttgarter Nachrichten“, „heißt: Wer ist Jesus für mich? Als was begegnet er mir? Eher als schützende Hand, als liebender Freund oder als Durchbrecher aller Bande? Oder schaut er mich aus den Augen der gehetzten Flüchtlinge an, die sich hilfesuchend wackligen Booten anvertrauen.“

Nachricht und Sinn

Im Arbeitsleben gibt es eine besondere Art von Brief – den Kurzbrief. Da steht etwa „zur Bearbeitung“ oder „zur Kenntnis“ oder auch „zum Verbleib“. Wenn „zum Verbleib“ angekreuzt ist, heißt es, dass die mitgeschickte Sache beim Empfänger an der richtigen Adresse ist. Die Schriftstücke ergeben oft erst dann einen Sinn, wenn sie im richtigen Zusammenhang stehen.

„Zum Verbleib“ heißt deshalb: Dieser Zusammenhang macht Sinn. Auch wir Menschen können an der richtigen Adresse sein. An etwas „dran bleiben“ heißt, dass wir einen bestimmten Zusammenhang nicht aufgeben wollen, dass wir viel Energie einsetzen, um eine wichtige Verbindung zu behalten. Bleiben heißt dann, dass etwas Sinn macht, dass es mir wichtig, sogar lebenswichtig ist.

Das Bild vom Weinberg

Christus spricht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Eine Einladung zum Bleiben. Diese Verbindung soll gehalten werden. Wir fragen uns: „Wer ist nun eigentlich der, an dem zu bleiben uns empfohlen wird? Was können wir von ihm haben? Was ist das für eine Adresse?

Gegenwelten

Christen haben sich zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Situationen unterschiedlichste Vorstellungen davon gemacht, wer dieser Jesus ist, in welcher Gestalt er Menschen begegnet. Ich denke an die Christusdarstellungen in den orthodoxen Kirchen.

Jesus ist in der Kuppel mit einem Buch oder der Weltkugel in der Hand zu sehen. Oft hebt er den Zeigefinger oder die Hand zur Segensgeste. Dieser Jesus ist der Weltenherrscher, der Allesbeherrscher – der Pantokrator. Dieses Jesus-Bild will die Gewissheit vermitteln, dass er der Herr der Herren ist. Kein anderer, nicht Kaiser noch König, behält letztlich die Oberhand.

Ein weiteres Bild ist der „Schmerzensmann“, das Bild des geschundenen Gekreuzigten, wie es im Mittelalter aufkam, als Pest und Kriege Verderben und Ängste verbreiteten: „O Haupt voll Blut und Wunden voll Schmerz und voller Hohn; o Haupt, zum Spott gebunden mit einer Dornenkron . . . wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.“ Ich denke an den Christus des Isenheimer Altars.

In der Neuzeit wurde vielen noch ein anderer Jesus wichtig: der Freund der Kinder, der Wegbegleiter, der Vertraute auf der „Lebensbahn“. „Jesu, geh voran auf der Lebensbahn, und wir wollen nicht verweilen, dir getreulich nachzueilen.“ Ich denke etwa an das Bild „Jesus und die Kinder“ von Emil Nolde.

Andere Künstler des 20. Jahrhunderts stellten ihn als den Zornigen, den Ungeduldigen, den Umstürzler und Befreier dar. Etwa Oskar Kokoschka: „Christus hilft den hungernden Kindern“, oder Otto Pankok: „Christus zerbricht das Gewehr“

Die Flüchtlingsfrage

Die Frage, die sich uns stellt, heißt: Wer ist dieser Jesus für mich? Als was begegnet er mir? Eher als schützende Hand, als liebender Freund oder als Durchbrecher aller Bande? Oder schaut er mich aus den Augen der gehetzten Flüchtlinge an, die sich hilfesuchend wackligen Booten anvertrauen.

„Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan.“ An Jesus zu bleiben heißt nicht, einem Fremden in die Fremde folgen, sondern ihn in eigenen Lebenserfahrungen erkennen und wiederfinden.