Anne Will analysierte mit ihren Gästen die Wahl in Hessen. Foto: dpa-Zentralbild

In Anne Wills Talkshow suchten die Parteivertreter nach Erklärungen für das Schwarz-Grüne-Wahlergebnis in Hessen. Warum die Streithähne Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) für rollende Augen sorgten.

Stuttgart - Verluste im zweistelligen Bereich für CDU und SPD: Einen „Denkzettel“ wollten viele abgewanderte Wähler den Parteien einer Umfrage zufolge erteilen. Für eine Fortsetzung der schwarz-grünen Regierung in Hessen - das zeichnet sich auch während des ARD-Talks bei Anne Will am späten Sonntagabend schon ab – wird das Ergebnis wohl nicht reichen. Anne Will hat kein Mitleid mit CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, sondern steigt wie gewohnt hart ein: „Fällt Ihnen dazu wirklich nichts Selbstkritisches ein?“

„Fahrplan“ der SPD – was ist das Neue?

Bei der Frage nach den Konsequenzen, die CDU und SPD aus dem Wahl-Debakel ziehen wollen, stand in der Talkshow zunächst das Stichwort „Fahrplan“ im Vordergrund. Mit einem solchen Plan wolle die SPD die Zeit bis zum Bergfest der Großen Koalition bestreiten und dann genau prüfen, wie viel vom Fahrplan mit dem Koalitionspartner umgesetzt werden konnte. Das sagte Andrea Nahles nach der Hessen-Wahl am Sonntagabend, Olaf Scholz verteidigt die Idee bei Anne Will. Der Fahrplan sei die Botschaft, auf die die Bürger einen Anspruch haben. „Wir müssen rausfinden, ob es doch noch klappt.“

Aber wie unterscheidet sich ein neuer „Fahrplan“ eigentlich vom Koalitionsvertrag? Was ist das Neue daran, will Anne Will wissen – und erhält von Scholz keine zufriedenstellende Antwort. Stattdessen analysiert die stellvertretende Leiterin des Spiegel-Hauptstadtbüros Christiane Hoffmann: Der Fahrplan sei schlicht der Versuch, die Diskussion um den Ausstieg der SPD aus der Großen Koalition noch aufzuschieben.

Ist Robert Habeck „cremig“?

Neben dem „Fahrplan“ sorgt bei Will noch ein anderer Begriff für Streit: das Wort „cremig“. So nennt FDP-Chef Christian Lindner die Politik seines Kollegen von den Grünen Robert Habeck – und setzt später noch drauf: Habeck habe eine „interessensgeleitete Erinnerung“, die Grünen seien wegen ihres Fokus’ auf CO2-Einsparungen innerhalb Deutschlands „Klimanationalisten“.

Lindner und Habeck reden wild durcheinander. Angesichts der Intensität ihres Gesprächs tauschen die zwei Politiker überraschend wenig Sachargumente aus. Stattdessen geht es länger um die Frage, ob „cremig“ nun eine passende Bezeichnung für Habeck sei oder nicht. „Robert!“, wirft Lindner ab und zu wie ein trotziges Kind ein. Annegret Kramp-Karrenbauer verdreht zu alledem die Augen wie eine genervte Mutter, deren Kinder sich streiten.

Habeck und Lindner erinnern mit diesem lächerlichen Streit ein wenig an Seehofer im Sommer 2017, als er wegen des Asylstreits das Ende der Bundesregierung riskierte – nur mit dem Unterschied, dass der Spuk Habeck/Lindner nach ein paar Minuten und nicht erst nach ein paar Monaten ein Ende fand. Schließlich grätscht noch Olaf Scholz rein mit dem Appell, die Wähler erwarteten, dass man über Inhalte spreche. Das mag zwar ernst gemeint sein, klingt in diesem Moment aber wie auswendig gelernt.

Ist Lindner der Vater des grünen Erfolgs?

Ausgelöst hatte den großen Kampf der Streithähne Anne Will mit der Frage an Christian Lindner: „Sind Sie in Wirklichkeit der Vater des grünen Erfolgs?“ Schließlich war es Lindner, der im vergangenen Jahr die Verhandlungen zu einer Jamaika-Regierung auf Bundesebene platzen gelassen hatte. Als Regierungspartei, so Wills Vermutung, hätten die Grünen ihren aktuellen Erfolg wohl nicht erlebt.

„Die Frage ist mir zu spielerisch gestellt, Frau Will“, antwortet Lindner. Im Laufe der Diskussion wird klar, dass nicht ein einzelner Vater, sondern zahlreiche Faktoren zum aktuellen Erfolg der Grünen beitragen. Während der FDP das Makel der geplatzten Koalitionsverhandlungen anlastet, gingen die Grünen relativ unbeschädigt aus der langen Suche nach einer Bundesregierung heraus. Auch das geeinte Auftreten innerhalb der Partei, die klare Ablehnung von Populismus und schlicht die aktuelle Schwäche fast aller anderen Parteien werden von den Gesprächspartnern als Gründe genannt.

Doch Christiane Hoffmann vom Spiegel warnt davor, den Erfolg der Grünen als dauerhaft anzusehen. Die Grünen dienten derzeit als Projektionsfläche für alle möglichen Hoffnungen und Wünschen, ähnlich wie einst Martin Schulz im vergangenen Jahr. Volatil, stimmungshaft und eben vergänglich sei der aktuelle Erfolg der Partei. Insofern, findet zumindest Hoffmann, passe das Wort „cremig“ eigentlich ganz gut.