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Beim Herrenberger Bürgerempfang demonstriert Ministerpräsident Winfried Kretschmann, warum ihm das Amt noch immer Spaß macht und stellt sich auch kritischen Fragen.

Herrenberg - Winfried Kretschmann hat die Herrenberger Stadthalle noch nicht betreten, da muss er schon in den Nahkampf. „Sie wollen doch die Sorgen der Bürger hören: Wir sind in unserer Existenz bedroht“, schleudern ihm mehrere Bauern entgegen, die aus dem nahen Haiterbach angereist sind. Dort soll ein neuer Flugplatz für Bundeswehr-Spezialtruppen entstehen, denn das frühere Militärgelände in Renningen wurde an die Firma Bosch für den Bau eines Forschungszentrums verkauft.

Aufgeregte Bauern

Kretschmann kennt den Konflikt, es geht um hunderte neuer Arbeitsplätze, und eigentlich könnte er Kanzleitrost spenden und die Sache an seine Mitarbeiter delegieren. Doch von Geschäftsmäßigkeit keine Spur. „Irgendwo müssen die halt auch hin“, bellt er und lässt sich auf eine Diskussion ein, als säße er am Stammtisch. Nach einer Viertelstunde haben die Haiterbacher zumindest eines gelernt: An Leidenschaft mangelt es dem 71-Jährigen nicht, der gerade seine erneute Kandidatur für 2021 verkündet hat. Das Kretschmannsche Feuer ist immer noch leicht zu entflammen.

Drinnen im vollen Saal geht es weniger hitzig zu. Mehrere hundert Menschen sind der Einladung der Grünen-Landtagsfraktion zu einem Bürgerdialog gefolgt. Natürlich sind viele Parteimitglieder und - anhänger darunter, aber nicht nur. „Das ist eigentlich nicht meine Partei“ sagt etwa der Herrenberger Hans Pietsch und kritisiert die grüne Sozialpolitik. Aber er wolle mal den Ministerpräsidenten erleben. Der hat mittlerweile das Podium erklommen und sprachlich vom Hochdeutschen in einen deftigen schwäbischen Dialekt gewechselt.

Kretschmann genießt den Auftritt

Natürlich schmeichelt er den Gastgebern, lobt den Herrenberger Bürgersinn und das Engagement der Stadtgesellschaft. Wie man das eben so macht als Ministerpräsident auf einem Ortstermin. Und natürlich bedient er sich rhetorischer Bausteine, die ihm auch in anderen Reden schon gute Dienste geleistet haben – zum Beispiel vom Klimawandel in der Natur und in der Gesellschaft. Doch die Routine aus acht Jahren Regierungszeit lässt er sich nicht anmerken. Ja, er genießt solche Auftritte augenscheinlich. Bisweilen jauchzt er geradezu, wenn ihm ein Gedanke gut gefällt. Nur ein einziges Mal erntet Unmutsäußerungen, als er sich zur Behauptung versteigt: „Marode Schulen, wo man die Kinder nicht aufs Klo schicken kann, gibt’s bei uns nicht.“ Ansonsten aber hängen ihm die Menschen an den Lippen – zumindest an diesem Abend in Herrenberg.

Dass er bei der nächsten Landtagswahl fast 73 sein wird, spielt denn auch so gut wie keine Rolle. Auch bei den Jungen nicht. „Der ist doch der beste, den die Grünen haben“, sagt eine junge Frau aus dem nahen Gärtringen. Und eine andere meint, es sei doch schön, wenn ein Grüner auch konservative Menschen anspreche.

Nicht auf alle Fragen eine Antwort

Und so mischt sich Kretschmann unter die Leute an den Stehtischen und wird mit Fragen quer durch alle Fachgebiete konfrontiert. Mal geht es um Verkehrsprobleme, mal um den Pflegermangel und mal klagt einer der Besucher über die fehlende Polizei im Land. Bisweilen gibt es auch Fragen auf die der Ministerpräsident keine Antwort hat. „Eben hat mich einer gefragt, warum er mit dem Fahrrad nicht durch Tunnels fahren darf“, sagt Kretschmann leicht amüsiert und zuckt mit den Achseln. „Da habe ich ihn doch lieber zum Verkehrsminister geschickt.“