Waqas Shaheen Foto: factum/Bach

Die Ahmadiyya-Gemeinde legt den Koran gänzlich anders aus als diejenigen Muslime, die die Schlagzeilen beherrschen.

Herrenberg - Die Friedensbotschaft verbreitet sich schleppend. Radfahrer rollen, Fußgänger schlendern vorbei. Die meisten beäugen den leuchtblauen Stand, der zwischen der Sparda-Bank und der Kreissparkasse eingeklemmt in der Herrenberger Fußgängerzone steht. Die wenigsten bleiben stehen. Es geht auf die Mittagszeit zu. „Vorhin war mehr los“, sagt Waqas Shaheen. Eine blonde Frau mustert die Broschüren, die er vor sich ausgebreitet hat, als fürchte sie, dass Papier bissig ist. „Die sind kostenlos“, sagt Shaheen, „über die friedliche Lehre des Islam“. Die Frau murmelt, dass sie nicht viel liest und stöbert weiter.

Die Broschüren verkünden nicht nur vom Frieden. „Vorurteile gegen den Islam“ ist eine überschrieben, „Die Rechte und Pflichten einer Frau im Islam“ eine andere. Shaheen ist Sprecher der hiesigen Ahmadiyya-Gemeinde, einer Strömung des Islam, die Mirza Ghulam Ahmad 1889 in Indien gründete. Er fühlte sich berufen, Irrtümer zu korrigieren, die sich im Lauf der Jahrhunderte in die Religion geschlichen hätten. Er predigte, dass der verhängnisvollste Irrtum sei, dass der Islam gebiete, Ungläubige zu bekriegen.

Ein Paar schlingert von Reiseerlebnissen zu Rüstungsexporten

Ein Paar spricht mit den Männern an ihrem blauen Stand. Der Mann hat gelesen, dass 300 000 freiwillige Krieger dem selbst ernannten Islamischen Staat zugeströmt sind, aber „wer weiß am Ende noch, was wahr ist“, sagt er. „Das macht das Internet.“ Die Frau schlingert von ihren Reiseerlebnissen hinüber zur Weltpolitik. „Schuld an allen Kriegen sind die Rüstungsexporte“, sagt sie. „Damit fängt alles an“ und, ach ja, „sind sie eigentlich Mohammedaner?“ Auf Shaheens T-Shirt ist „Muslime für Frieden“ aufgedruckt. Der Duden-Verlag ist der Meinung, dass es inzwischen unschicklich ist, den Begriff Mohammedaner zu verwenden. Allerdings ist diese Ansicht umstritten. Der Muslim ist in der sinngemäßen Übersetzung derjenige, der sich Gott unterwirft. Alle anderen sind Ungläubige.

Shaheen ist die Wortwahl einerlei. Jeder möge glauben, woran er mag. Dies gehört zu den Leitsätzen der Ahmadiyya-Gemeinde. „In Herrenberg haben wir gute Erfahrungen“, sagt er. Die Menschen sind freundlich und wollen wissen, was diese nach landläufiger Überzeugung merkwürdige Strömung des Islam zu verkünden hat. Anfeindungen sind selten, überall im Landkreis. In Ostdeutschland „musste auch schon die Polizei anrücken, um unsere Stände zu schützen“, erzählt Shaheen. Rechte rotteten sich zusammen, weil ihnen jeder als Feind gilt, der an Allah glaubt. Auch anders gesinnte Muslime feinden die Ahmadiyya-Botschafter gelegentlich an.

Die Gemeinde tingelt mit ihren Ständen auch über die Dörfer

Die Gemeinde tingelt mit ihren Ständen auch durch die Dörfer. Dort habe mancher noch nie mit einem Muslim gesprochen, sagt Shaheen. Vielen ist der Gedanke fremd, dass es nicht den einen Islam gibt, den, der die Schlagzeilen beherrscht, sondern unterschiedlichste Auslegungen. Derzeit werden die Friedensbotschafter vor allem zu ihrer Meinung über die erdoganisierte Türkei befragt. Die ist schlicht: Staat und Religion sind streng zu trennen. Glaubensgemeinschaften, die der Staat unterstützt, sind nicht mehr unabhängig. So predigte es schon der Ahmadiyya-Gründer.

Den Stand, die Broschüren, die 24-Stunden-Hotline, die Internetseite der Gemeinde und ihre Moscheen, sind allesamt von Spenden bezahlt. „Deshalb sind unsere Moscheen auch recht klein“, sagt Shaheen. Alle Arbeit wird im Ehrenamt geleistet. An diesem Tag sind die meisten Anhänger der Gemeinde in Sindelfingen ausgeschwärmt, um Müll von den Straßen zu klauben.

In Herrenberg leert sich die Fußgängerzone, Zeit, den Stand abzubauen. Heute haben Shaheen und seine Helfer nicht allzu viele von ihrer Friedensbotschaft überzeugt. „Das Angebot zum Dialog nimmt nicht jeder direkt an“, sagt er, aber wenn irgendwo ein Stand aufgebaut war, steigt die Zahl der Besucher auf der Homepage und der Anrufer an der Hotline. „Das merken wir deutlich.“