Dieses Wildschwein stöbert am Waldrand in Berlin nach Essbarem. Foto: dpa

In Herrenberg mehren sich die Klagen über Gärten verwüstende Wildschweine. Die Tiere gelten bundesweit als Plage. Selbst inmitten von Großstädten fühlen sie sich heimisch. Jägern bereiten sie besondere Schwierigkeiten.

Herrenberg - Sie zerstören Zäune, graben Gärten um, fressen die Feldfrucht. Die Wildschweinplage ist in Herrenberg angekommen. „So schlimm wie in Berlin ist es noch nicht“, sagt Dieter Bäuerle vom Ordnungsamt. Inmitten der Hauptstadt verwüsten die Schweine sogar Friedhöfe, um Nahrhaftes zu finden. In Herrenberg stöbern die Viecher bislang nur an den Stadträndern durch Gärten. Klagen gab es auch in der Vergangenheit, aber 2016 mehren sie sich. Mancher Hauseigentümer musste hilflos vom Fenster aus zusehen, wie eine grunzende Rotte seine Gartenarbeit vernichtet. Zwar sind Angriffe auf Menschen rar, „aber das sind 80 bis 100 Kilo Lebendmasse“, sagt Bäuerle, „mit dem Regenschirm drauflosgehen würde ich nicht“.

Das Rathaus hat eine Art Leitfaden herausgegeben, um die Plage einzudämmen. Die Empfehlungen beschränken sich im Wesentlichen darauf, den Tieren keine Nahrung anzubieten. Gartenabfälle, Streuobst, Kompost mögen, wenn im Freien, dann in dichten Behältern gelagert werden. Nach Erkenntnis der Verwaltung füttert auch mancher Tierliebhaber die Schweine im Irrglauben, sie litten Hunger. Dafür kann eine Geldstrafe von bis zu 5000 Euro verhängt werden. So ist es in einem vor zwei Jahren von der Landesregierung neu aufgelegten Regelwerk namens „Jagd- und Wildtiermanagementgesetz“ niedergeschrieben.

In Berlin leben rund 4000 Wildschweine großstädtisch

Dass die Herrenberger Hinweise helfen, ist zweifelhaft. Das Wildschwein gilt bundesweit als Plage. In der Berlin leben rund 4000 der Tiere großstädtisch. Die Stadt Köln hat ihren Bewohnern in einem Leitfaden nahegelegt, wie Begegnungen mit ihnen gefahrlos zu überstehen sind. In Frankfurt rebelliert der Stadtteil Schwanheim gegen angebliche Tatenlosigkeit der Verwaltung. In ländlichen Gebieten werden die Vorwürfe an die Jäger lauter, sie vernachlässigten ihre Pflicht. Auf der schwäbischen Alb nahe Kirchheim vernichteten zuletzt Rotten mit bis zu 70 Tieren ganze Felder. Üblich ist ein Zehntel.

Gemäß Schätzungen verdreifacht sich die Zahl der Schweine jährlich. Die explosionsartige Vermehrung „hat verschiedene Gründe“, sagt der Kreisjägermeister Claus Kissel. Der eine ist ein überreichliches Nahrungsangebot. Wegen des Klimawandels produzieren Eichen und Buchen mehr Früchte. Um Biomasse für die Energieproduktion zu gewinnen, hat sich die Zahl der Felder vervielfacht, auf denen Mais angebaut wird. Zudem sterben in milden Wintern weniger Tiere. In Baden-Württemberg leistet auch die Landesregierung ihren Beitrag. In jenem Jagd- und Wildtiermanagementgesetz wurde eine Schonzeit von zwei Monaten festgeschrieben. Zuvor durften Wildschweine ganzjährig geschossen werden. „Das Gesetz verkürzt die Jagdzeit um 15 Prozent“, sagt Kissel. „Ich glaube, die Politik hat das Problem nicht erkannt.“

Die Wildtiere übertragen die Schweinepest auf Hausschweine

Mangels natürlicher Feinde können nur Jäger den Bestand vermindern. Was allein schon deshalb als geboten gilt, weil die Wildtiere die Schweinepest auf Hausschweine übertragen können. Insbesondere eine aus Afrika eingeschleppte Variante der Krankheit gilt als unheilbringend, denn gegen sie existiert kein Impfstoff. In Deutschland ist die afrikanische Schweinpest noch nie ausgebrochen, aber in südlichen und östlichen Nachbarländern.

Die Jäger plagen eigene Nöte mit dem Wildschwein: „So eine Sau ist wahnsinnig schlau“, sagt Kissel. Stets führt ein weibliches Tier das Rudel, eine Bache, die ihr Wissen zeitlebens an die Jungtiere weitergibt. An das Ritual der Jagden gewöhnt eine Rotte sich schnell und lernt zu entkommen. „Spätestens nach der dritten Drückjagd wissen die, dass es eng wird und verschwinden dorthin, wo sie sich sicher fühlen“, sagt Kissel. Routinierte Tiere wissen gar zwischen ungefährlichen und todbringenden Menschen zu unterscheiden. Im Mittel muss ein Jäger 30 Stunden aufwenden, um ein Wildschwein zu erlegen. Dies versucht die Kreisjägerschaft wieder am 10. Dezember bei Ehningen. Waidmannsheil.