Im Südwesten beginnt die Apfelernte: Erntehelfer packen Apfel für Apfel mit den Händen in die Körbe. Foto: factum/Simon Granville

Die Apfelernte fällt in diesem Jahr positiv aus. Dennoch brodelt es in der Branche: Viele Bauern stehen wegen der Klimadebatte am Pranger. Der Verdienst bleibt mies. Die Folge: Immer mehr Apfelbauern im Kreis geben auf.

Bondorf - Der Landwirt Helmut Werner hat viel Aufmerksamkeit aufgebracht, damit ein Apfel der Sorte Gala sein Dornröschen-Rot entwickelt – vorne knallig, hinten gelblich. Im Frühling fuhr Werner mit einer Fadenmaschine durch die Baumreihen und reduzierte die Blüten. Er spannte ein Netz gegen den Hagel auf. Ein Dutzend Male spritzte er gegen Schädlinge, achtete täglich auf Schorfbefall. In seiner Obstanlage in Bondorf bei Herrenberg hängen schwere Äste mit reichlich Früchten. Jetzt endlich kann er die Äpfel von seinen 15 000 Bäumen herunterholen.

Es könnte ein gutes Jahr sein für Obstbauern wie Helmut Werner. Die vielen Sonnenstunden haben ihren Tafeläpfeln gutgetan, die Ernte wird weniger gut als im Vorjahr, aber besser als im Durchschnitt. Dennoch sind Apfelbauern wie er frustriert. Und das liegt weniger an den Äpfeln, sondern an manchen Menschen, die sie essen. „Für viele sind wir diejenigen, die das Klima zerstören. Das nervt“, sagt Helmut Werner.

Seitdem die Klimadebatte in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, stehen Bauern zunehmend in der Kritik. Der Vorwurf: Ihre Düngemittel, Pestizide und Schädlingsbekämpfer, mit denen sie Felder und Pflanzen bearbeiten, erzeugen zu viele Klimagase und treiben das Artensterben gehörig voran.

Spaziergänger zeigen Mittelfinger

Die Bauern stört vor allem ein Pauschalurteil, das ihnen aus der Gesellschaft entgegenschlägt: Natur ist gut – Chemie ist schlecht. „In Deutschland findet man im Verkauf keinen einzigen Apfel, der nicht gespritzt ist“, sagt Helmut Werner. In seinem Hofladen in Bondorf erlebt er immer wieder, wie Kunden in Kisten wühlen, um die Äpfel mit kleinerem Schorfbefall auszusortieren. Dieser ist aber unvermeidbar, wenn Äpfel nicht chemisch bearbeitet werden sollen. „Haben sie auch Ungespritzte?“, fragen manche und fahren dann enttäuscht in den Supermarkt. Und der Gegenwind aus der Bevölkerung wird schärfer. Spaziergänger mit Hunden wollen ihn nicht passieren lassen, wenn er mit einem Traktor auf Feldwegen unterwegs ist. Wenn er Düngemaschinen fahren lässt, strecken Passanten ihm schon mal den Mittelfinger entgegen. „Das ist nicht normal“, sagt er, und es schwingt eine gehörige Portion Missmut in seiner Stimme.

Eine Agrarwende, wie sie auch von der Politik gefordert wird, fällt den Bauern schwer. Eine Kabinettsvorlage, auf die sich das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium sowie das Umweltministerium geeinigt haben, sieht etwa vor, dass der Einsatz von Pestiziden in Schutzgebieten bis zum Jahr 2030 um 40 bis 50 Prozent verringert wird. Würden Pflanzenschutzmittel in geschützten Gebieten komplett verboten, würde dies das Aus für viele Betriebe bedeuten, kontert der Deutsche Bauernverband. Noch ist nicht klar, wie eine moderne Agrarindustrie sowohl der Ökologie als auch Kundenwünschen gerecht werden kann, die nach günstigen und makellosen Produkten streben.

Vor 30 Jahren 300 – heute etwa 50 Betriebe im Kreis

„Viele Bauern sind einfach frustriert“, sagt Manfred Nuber, Berater für Obstanbau des Landratsamts Böblingen. Immer mehr Landwirte würden den Apfelanbau aufgeben. Gab es im Landkreis Böblingen vor 30 Jahren noch 300 Bauern, sind es heute noch fünf große und etwa 50 kleine Betriebe.

Gründe, warum die Zahl der Höfe sich reduziert, gibt es viele: Manche kommen mit dem Preisdruck durch große Betriebe nicht klar, andere mit dem technologischem Wandel, der viele Kenntnisse voraussetzt. Manche ärgern sich über den mickrigen Verdienst von umgerechnet etwa zwei Euro pro geleisteter Arbeitsstunde, wie Nuber vermutet. Trotzdem hätten viele in der Vergangenheit darüber hinweggesehen. „Jetzt machen uns alle für die Klimakrise verantwortlich. Und viele fragen sich: Warum soll ich das noch mitmachen?“

Helmut Werner stellt sich diese Frage nicht. Der Mann wirkt zufrieden, dass es dieses Jahr so glimpflich mit dem Wetter gelaufen ist. Dass sich die vielen Arbeitsstunden nun auszahlen. Dafür müssen die Äpfel zunächst runter vom Baum.