Herpesviren werden über direkten Hautkontakt übertragen. Ein liebevoller Kuss einer betroffenen Mutter kann daher bei Babys schon zu einer Infektion führen Foto: Fotolia

Ein Vater warnt auf Facebook vor Herpes-Infektionen bei Babys – und schildert den Überlebenskampf seines zwei Monate alten Sohnes. Warum Herpes-Viren für Neugeborene so gefährlich sind, erklärt der Stuttgarter Experte Matthias Vochem vom Klinikum Stuttgart.

Hamburg/Stuttgart - Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt John, friedlich schlummernd neben seinem Kuschelhasen. Es ist ein hübsches Bild. So eines, das Eltern gern in ihr Fotoalbum kleben, als Erinnerung. Johns Vater hat es auf Facebook gepostet – als Mahnung: Es soll vor Herpesinfektionen bei Babys warnen. Sein Sohn hatte sich kurz nach der Geburt mit dem Virus infiziert, das bei dem Säugling eine Enzephalitis, eine Entzündung des Gehirns, verursacht hat. Nun kämpft das Baby ums Überleben. „Herpesbläschen sind potenziell ansteckend. Haltet euch von Babys fern, schaut nicht mal in den Kinderwagen, ihr könntet das Kind anstecken, auch wenn es nicht mehr ganz frisch ist“, heißt es in dem Post. Die Mahnung ist in dem sozialen Netzwerk inzwischen mehr als 40 000-mal geteilt worden.

 

Wie gefährlich eine Herpesinfektion bei Neugeborenen verlaufen kann, sei tatsächlich vielen nicht bewusst, bestätigen Experten wie Matthias Vochem, Ärztlicher Direktor der Neonatologie am Klinikum Stuttgart. Trifft das Virus auf ein ungeschütztes Immunsystem wie das des Neugeborenen, besteht die Gefahr einer Blutvergiftung. Auch die Organe können von dem Virus befallen werden. „Ist das Virus bereits in das Gehirn vorgedrungen, ist die Situation schwerwiegend“, sagt Vochem. Eine solche Enzephalitis führt oft zu geistigen Schäden oder gar zum Tod.

Das Immunsystem ist bei Neugeborenen noch durch Stresshormone geschwächt

Warum gerade Neugeborene und besonders auch Frühgeborne von diesen gefährlichen Verläufen betroffen sind, wenige Monate alte Säuglinge dagegen meist nicht mehr, erklärt Vochem mit Werten des Stresshormons Cortisol, die bei Kindern kurz nach der Geburt extrem hoch sind. „Cortisol hemmt das noch nicht vollständig ausgebildete Immunsystem. Das macht das Kind schneller anfälliger für Erreger.“

Häufig sind solche Fälle nicht. Kinderarzt Vochem schätzt, dass es bei vier bis fünf der 90 000 bis 100 000 Neugeborenen, die in Baden-Württemberg jährlich zur Welt kommen, zu solchen Komplikationen kommt. „Eine Herpesinfektion bei Neugeborenen tritt zum Glück noch sehr selten auf.“

Hat die infizierte Mutter ihr Kind geküsst, sollte das Baby vorbeugend behandelt werden

Damit dies auch so bleibt, sind Hebammen und Geburtshelfer darauf bedacht, werdende Eltern bei der Geburtsvorbereitung und bei der Aufnahme in den Kreißsaal auf die Infektionsgefahr hinzuweisen. „Wir fragen gezielt nach Herpes und bitten die Eltern, sich bei Anzeichen eines auftretenden Lippenherpes sofort zu melden“, so Vochem. Dann tragen die Betroffenen bei der Geburt Mundschutz und müssen verstärkt auf ihre Händehygiene achten.

Auch Tage nachdem das Kind auf der Welt ist, gilt: Küssen verboten. Denn durch den direkten Hautkontakt können die Viren bei dem Kind schnell über die Schleimhäute von Mund, Nase und Augen in den Körper gelangen. Hat die Mutter ihr Kind dennoch ohne Schutz geherzt oder zu spät gemerkt, dass bei ihr Herpes ausbricht, rät Vochem dazu, das Kind gleich vorbeugend zu behandeln. Häufiger infizieren sich die Kinder jedoch schon im Geburtskanal. Denn auch in der Scheide der Mutter können sich die tückischen Herpesbläschen bilden – auch unbemerkt von der Betroffenen. Werden die Herpesbläschen bei den vorgeburtlichen Vorsorgeuntersuchungen erkannt, wird der Schwangeren zum Kaiserschnitt geraten.

Die Therapie schlug bei dem kleinen John nicht an

Die verfügbaren Therapien gegen Herpes-Viren sind eigentlich gut verträglich. Doch eine Heilung gelingt nur, wenn die betroffenen Kinder früh behandelt werden. „Problematisch ist, dass sich die Symptome nicht sofort nach der Infektion zeigen“, sagt Vochem. Erst Tage später verschlechtert sich der Gesundheitszustand: Die Babys trinken nicht mehr richtig, sind blass und bekommen Fieber. Es kommt zu Krampfanfällen.

So fing es auch bei John an: „Circa 14 Tage nach seiner Geburt begann John unruhig zu werden, sich zu überstrecken und in leichten Schüben zu zittern“, schreibt der Vater auf Facebook. „Die Hebamme nahm an, dass es sich um eine durch die schnelle Geburt hervorgerufene Blockade handelte und empfahl uns, am nächsten Tag zum Arzt zu gehen.“ Die Eltern brachten ihn noch am selben Abend ins Krankenhaus. Fünf Wochen lang dauerte die Therapie. Doch sie schlug nicht an. Das Schicksal von John bleibt ungewiss.

Damit andere Eltern so etwas nicht durchmachen müssen, will der Vater aufklären: „Herpes wird heute als lästige Begleiterscheinung eines stressigen Lebens abgetan, die Gefahren sind kaum bekannt“, schreibt er. „Wer darauf achtet, rettet vielleicht einem Kind das Leben.“

So verbreitet sich das Herpes-Virus im Körper

Infektion: Die meisten Menschen infizieren sich im Kindesalter mit dem Virus – durch Küssen, Schmusen und Schmierinfektion. Die Zeit zwischen Infektion und Ausbruch kann wenige Tage bis Wochen betragen.

Verbreitung: Die Viren gelangen durch winzige Hautverletzungen in den Körper. Dort wandern sie an den Nervenbahnen entlang und setzen sich in den Nervenknoten (Ganglien) fest. Sie entledigen sich ihrer Hülle, lediglich die Virus-DNA bleibt zurück. So kann sie das Immunsystem nicht als Krankheitserreger erkennen. Unbehelligt schlummern die Erreger in den Ganglien und verursachen vorerst keine Beschwerden.

Aktivierung: Um die Viren zu aktivieren, braucht es nur eine Stresssituation des Immunsystems: intensive UV-Strahlen und Sonnenbrand, Stress, Infektionen, Zahnbehandlung, Hormonschwankungen, starke körperliche Belastung, Klimawechsel. Das Virus nutzt die Abwehrschwäche des Körpers für seine Vermehrung. Es wandert zurück in die Haut, und es bilden sich Herpesbläschen. Platzen diese, ist die Infektionsgefahr besonders hoch, denn die austretende Flüssigkeit enthält jede Menge Viren. Diese können über direkten Hautkontakt weiter verbreitet werden – beim Händeschütteln, Küssen, Sex.

Therapie: Ohne Behandlung klingen die Beschwerden nach ein bis zwei Wochen wieder ab. Antivirale Substanzen lassen Bläschen schneller abklingen. Aber: Die Wirkstoffe hemmen zwar die Virenvermehrung, können aber das Virus nicht aus dem Körper entfernen. Als Creme sind manche Produkte bereits rezeptfrei in der Apotheke zu bekommen.