Wurde als „Herminator“ bei den olympischen Spielen berühmt: Die österreichische Ski-alpin-Legende Hermann Maier, hier zu sehen im Jahr 2006 in Turin. Foto: Imago/Camera 4

Die Geschichte der Winterspiele steckt voller unwahrscheinlicher Siege und legendärer Auftritte. Wir haben die fünf kuriosesten zusammengetragen – von Bobfahrern aus Jamaika bis zur Medaille mit 86 Jahren.

Geschichten, wie sie nur der Sport schreiben kann, sind in fast einhundert Jahren Olympische Winterspiele zuhauf passiert. Zwischen Medaillenjagd und olympischem Sportsgeist war im Lauf der Jahrzehnte immer auch Platz für triumphale und tragische Momente, für Athletinnen und Athleten, die sich in den Geschichtsbüchern verewigt haben. Wir haben zum Start der Winterspiele fünf besondere historische Anekdoten zusammengetragen.

Eishockey, USA vs. Sowjetunion: Das Wunder auf dem Eis

Das „Wunder auf dem Eis“ von 1980 Foto: Imago/ZUMA Wire

Symbolträchtiger konnte ein Eishockeyspiel im Kalten Krieg kaum sein: David gegen Goliath. Underdog gegen Topfavorit. West gegen Ost. Kapitalismus gegen Kommunismus. Am 22. Februar 1980 trafen nicht nur die Eishockeymannschaften der USA und der Sowjetunion in der olympischen Hauptrunde in Lake Placid aufeinander, sondern auch zwei politische Systeme. Am Ende stand eine der größten Heldentaten der US-Sportgeschichte – das „Miracle on Ice“ (Wunder auf dem Eis).

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Die Vereinigten Staaten traten mit einem jungen Team aus College-Amateuren gegen die „Sbornaja“ an, die sowjetische Mannschaft, die als haushoher Favorit galt. „Wir hatten großen Respekt, aber für uns ging es nur um Sport. Allerdings gab es natürlich eine politische Rivalität, deshalb war es für viele Menschen mehr als ein Eishockeyspiel“, erinnerte sich Kapitän Mike Eruzione später. Kurz zuvor war die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert, in der Teheraner Botschaft wurden US-Diplomaten seit Wochen als Geiseln gehalten.

Da wirkte die Eishockey-Sensation geradezu erlösend: Zehn Minuten vor Ende stand es 3:3, dann erzielte Eruzione den entscheidenden Treffer für die Amerikaner, die ihre Führung in einem Herzschlagfinale verteidigten. Legendär auch die TV-Übertragung des Senders ABC, in der Kommentator Al Michaels die letzten Sekunden herunterzählte und zum Abpfiff die historischen Worte schrie: „Do you believe in miracles?“ („Glauben Sie an Wunder?“). Kein Wunder jedenfalls, dass die USA mit dem folgenden Sieg gegen Finnland am Ende sogar Gold holten.

Clara Hughes: Medaillen zu jeder Jahreszeit

Die Kanadierin Clara Hughes wurde vor allem als Eisschnellläuferin berühmt Foto: imago sportfotodienst/imago sportfotodienst

Fast 20 000 Medaillen hat das Internationale Olympische Komitee bei den Sommer- und Winterspielen bisher vergeben. Ein besonderes Kunststück haben nur sechs Athletinnen und Athleten geschafft: Medaillen sowohl bei den Sommer- als auch den Winterspielen zu gewinnen.

Clara Hughes hatte bereits 1996 zwei Bronzemedaillen bei den Sommerspielen in Atlanta geholt Foto: imago sportfotodienst/imago sportfotodienst

Die Rekordhalterin unter diesen Multitalenten ist die Kanadierin Clara Hughes mit zwei Medaillen im Sommer und vier im Winter. Inspiriert von den Winterspielen 1988 im heimatlichen Calgary wollte sie eigentlich Eisschnellläuferin werden, doch bevor ihre Karriere auf dem Eis richtig begonnen hatte, fand sie eher durch Zufall den Weg in den Radsport. Mit Erfolg. Bei ihrem ersten olympischen Auftritt 1996 in Atlanta setzte sie mit je einer Bronzemedaille im Einzelzeitfahren und im Straßenrennen ein Ausrufezeichen.

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Vier Jahre später schaffte sie es auf dem Rad zwar nicht mehr in die Medaillenränge, doch danach ging ihre Karriere erst richtig los: Sie wechselte im höchst unüblichen Alter von 27 Jahren noch einmal neu in den Eisschnelllauf und qualifizierte sich zwei Jahre später prompt für die Winterspiele in Salt Lake City. Auf der Eisbahn holte sie von 2002 bis 2010 vier Medaillen, mit Gold über 5000 Meter in Turin im Jahr 2006 als Krönung – eine knappe Sekunde vor Claudia Pechstein.

Als wäre dieser Weg nicht schon unwahrscheinlich genug, wollte Hughes es 2012 nach ihrer Zeit auf dem Eis sogar noch einmal auf dem Rad wissen: Bei den Londoner Sommerspielen erreichte sie im Einzelzeitfahren noch einen sehr respektablen fünften Platz – mit inzwischen 39 Jahren.

Trotz aller Erfolge hatte ihre außergewöhnliche Karriere auch Schattenseiten, denn Hughes kämpfte während ihrer aktiven Zeit mit Depressionen und einer Essstörung. Inzwischen tritt sie deshalb als Botschafterin für psychische Gesundheit auf.

Ski-Legende Hermann Maier: Der „Herminator“ ist geboren

Als „Herminator“ wurde der Österreicher Hermann Maier bekannt, einer der besten alpinen Skirennfahrer überhaupt. Foto: imago images/Laci Perenyi/Laci Perenyi via www.imago-images.de

Wenn es einen Sportler gibt, dem der Nimbus der Unzerstörbarkeit anhaftet, dann ist es die österreichische Ski-Legende Hermann Maier. Erst 1996 war der gelernte Maurer und Skilehrer auf die Weltcup-Bühne gekommen, 1998 trat er bereits bei Olympia im japanischen Nagano an. Das Abfahrtsrennen am 13. Februar fiel, wie könnte es anders sein, auf einen Freitag.

Maier begann den Lauf, dann der Schock: Er raste in eine Kurve, verlor die Kontrolle und die Bodenhaftung. Meterweit flog er durch die Luft, prallte auf den Boden, durchbrach danach noch mehrere Absperrungen und landete im Tiefschnee neben der Strecke. Die Fernsehbilder gingen um die Welt, das Publikum schnappte kollektiv nach Luft – doch Maier passierte fast nichts. Wie durch ein Wunder trug er nur leichte Verletzungen an Schultern und Knien davon.

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Der „Neuen Zürcher Zeitung“ sagte der heute 49-Jährige kürzlich, das sei „jugendlicher Leichtsinn“ gewesen. Und: „Ich bin nicht oft gestürzt, aber wenn, dann war es ziemlich heftig.“ Damals jedenfalls hatte Maier nur ein Ziel vor Augen: aufstehen und weitermachen. Als er wenige Tage später im Super-G und im Riesenslalom jeweils olympisches Gold holte, war der Mythos des unbezwingbaren „Herminator“ geboren.

Endgültig verewigt hat sich der Vergleich mit Arnold Schwarzeneggers metallenem Alter Ego „Terminator“ schließlich im Jahr 2001, als Maier bei einem Motorradunfall beinahe ein Bein verlor. Zwei Jahre später stand er wieder auf der Piste und gewann 2004 noch einmal den Gesamtweltcup.

Skispringer Anders Haugen: Bronze mit 50 Jahren Verspätung

Der älteste Medaillengewinner: Der US-Amerikaner Anders Haugen. Foto: red

Ja, auch mit 86 Jahren kann man noch eine olympische Medaille gewinnen. Klingt unwahrscheinlich? Stimmt, und ohne einen Rechenfehler wäre es tatsächlich nie so weit gekommen. Aber der Reihe nach.

Bei den allerersten olympischen Winterspielen 1924 im französischen Chamonix trat im Skisprungwettbewerb Anders Haugen, US-Amerikaner mit norwegischen Wurzeln, gegen die starke skandinavische Konkurrenz an. Haugen selbst hatte 1919 und 1920 bereits zwei Weltrekorde aufgestellt, doch an diesem 4. Februar meinte es das Schicksal nicht gut mit ihm.

In der Gesamtwertung lagen nach zwei Sprüngen die Norweger Jacob Thams und Narve Bonna unangefochten auf den ersten Plätzen. Anders Haugen war zwar mit 50 Metern am weitesten gesprungen, in der Punktwertung landete er aber wegen einer schlechten Haltungsnote nur auf Platz vier und musste einem dritten Norweger, Thorleif Haug, den Vortritt lassen. Haugen sagte einem Skimagazin später, er habe zwar Zweifel gehabt, die Entscheidung aber akzeptiert: „Proteste und dergleichen waren damals nicht üblich.“

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Erst Jahrzehnte später machte einer der Kontrahenten von 1924, ein weiterer Norweger namens Thoralf Strømstad, einen Sporthistoriker darauf aufmerksam, dass die Haltungsabzüge seiner Ansicht nach falsch berechnet worden seien. Das IOC kam schließlich zu dem Ergebnis, der inzwischen verstorbene Haug habe zu Unrecht die Bronzemedaille erhalten. Und so überreichte Haugs Tochter 1974, mit 50 Jahren Verspätung, in Oslo dem damals 86-Jährigen Anders Haugen seine verdiente Trophäe. Nicht nur er konnte sich freuen, denn so kamen die USA nachträglich auch zur ersten und einzigen Skisprungmedaille ihrer Geschichte.

Jamaikas Bob-Piloten: Karibik-Flair im Eiskanal

Legendenstatus hat das jamaikanische Bob-Team. Foto: imago/Colorsport/imago sportfotodienst

Es gibt Geschichten, die so skurril sind, dass sie nicht einmal ein Filmdrehbuch frei erfinden kann. Die jamaikanische Bob-Mannschaft gehört dazu. Einem breiten Publikum bekannt wurden die vier Sportler aus der sonnigen Karibik, die gegen jede Wahrscheinlichkeit bei den olympischen Winterspielen im Eiskanal antreten, durch die Komödie „Cool Runnings“ aus dem Jahr 1993. Auch wenn die Filmhandlung größtenteils gut erfunden ist, steckt darin doch ein wahrhaft olympischer Kern.

Tatsächlich trat 1988 bei den Spielen im kanadischen Calgary erstmals ein jamaikanisches Bob-Team um Dudley Stokes an – doch der Viererbob stürzte im dritten Lauf, der Zweierbob schaffte es immerhin auf die hinteren Plätze. Die Sportwelt schloss die Jamaikaner jedoch direkt ins Herz, sodass das Land bis heute bei fast allen Winterspielen im Bobsport vertreten ist. Selbst wenn das nötige Geld manchmal nur durch Spendenkampagnen zusammenkommt.

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Den ersten Anschub zur Bobnation gaben vor den Spielen von 1988 zwei US-Geschäftsleute, die in Jamaika Seifenkistenrennen besuchten und in den Ähnlichkeiten Potenzial für den Bobsport sahen. Sie überzeugten das nationale olympische Komitee, ein Bobteam aufzustellen. Die Piloten rekrutierte man aus der Armee, und laut Stokes bekamen sie erst wenige Monate vor den Spielen ihr Arbeitsgerät überhaupt zu Gesicht. Doch seitdem ist Jamaika aus dem Kreis der olympischen Wintersportnationen nicht mehr wegzudenken – dieses Jahr sogar mit einem alpinen Skifahrer, der im Riesenslalom antritt.