Graues Langohr oder moderner Batteriezug - wer hat Vorfahrt? Natur- und Klimaschutz gehen nicht immer konform. Bei der Hermann-Hesse-Bahn hat man eine Lösung gefunden. Taugt es als Modell?
Calw - Gemütlich sieht das neue Zuhause für die Fledermäuse nicht gerade aus. Dafür ist es modern. Und es hat einen Streit geschlichtet. Das Ersatzquartier für Fledermäuse bei Hirsau hat den Weg frei gemacht für ein zukunftsweisendes Projekt: Vier Jahrzehnte, nachdem zwischen Weil der Stadt und Calw der letzte Personenzug der Hermann-Hesse-Bahn verkehrte, soll die Strecke nun in zwei Jahren reaktiviert werden - mit einem Batterie betriebenen Zug. Zusammen mit dem regionalen Schienenverkehr im Netz 8 Ortenau werden bei Calw dann erstmals im Land solche Züge eingesetzt. „Batterieelektrische Züge sind überall dort eine Option, wo der Bau einer Oberleitung zu schwierig oder zu langwierig ist“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).
Das Land unterstützt Vorhaben, mit denen auch im Schienenverkehr der CO2-Ausstoß gesenkt wird. „Der Einsatz von Dieselloks sollte bald der Vergangenheit angehören“, meint der Minister. Und Strecken still legen auch. Bundesweit hat die Deutsche Bahn Tausende Kilometer aufgegeben, weil sie sich nicht rechneten. Nun gibt sie die Devise aus: „Jeder Kilometer Gleis ist aktiver Klimaschutz.“
20 Reaktivierungs-Projekte hat die Bahn aktuell, darunter in Baden-Württemberg die Strecken Ludwigsburg-Markgröningen und Breisach-Colmar. Doch es geht mehr. Das Stuttgarter Verkehrsministerium listet gut zwei Dutzend Strecken auf, die wiederbelebt werden könnten.
Fledermäuse müssen zum Umzug bewegt werden
Der Calwer Landrat Helmut Riegger (CDU) begrüßt es, dass Bahn und Bund alte Strecken wiederbeleben wollen. Doch vor Ort ist man schon weiter: „Mit dem Projekt Hermann-Hesse-Bahn will der Landkreis Calw zeigen, dass auch die kommunale Seite bereit ist, einen aktiven Beitrag zu leisten.“
1872 als Württembergische Schwarzwaldbahn eröffnet, brachte die vom Dichter Hermann Hesse geschätzte und später nach ihm benannte Bahn über ein Jahrhundert Stuttgarter in den Schwarzwald oder Calwer in die Schwaben-Metropole. Zunächst dampfend, ab 1953 Diesel betrieben. Am 27. Mai 1983 war Schluss: Da verkehrte der letzte Personenzug zwischen Weil der Stadt und Calw. Nun macht ein vom Kreis Calw und Anrainerkommunen gegründeter Zweckverband die Hesse-Bahn wieder flott.
Über das vom Land geförderte 65-Millionen-Euro-Projekt wurde lange gestritten. Naturschützer sind für umweltfreundliche Verkehrsverbindungen. Doch sie sorgen sich auch um Fledermausarten wie Graues Langohr, Große Hufeisennase oder die Mopsfledermaus. Allein im Hirsauer und Forster Tunnel leben dem Naturschutzbund Nabu zufolge mehrere tausend Individuen von mindestens 14 streng geschützten, seltenen und teils vom Aussterben bedrohten Arten. „Die Tunnel sind ein überregional bedeutendes Winterquartier.“ Mit dem erzielten Kompromiss, der neben Trennwänden Ausweichlösungen für die Tiere vorsieht, können die Naturschützer nun leben.
Taugt das Batterie-Zug-Modell auch für andere stillgelegte Strecken?
Bis die Hermann-Hesse-Bahn 2023 wieder in Gang kommt, müssen jedoch nicht nur die Fledermäuse zum Umzug bewegt werden. Wo vorhanden, führen Gleise ins Nichts oder sind von Gräsern überwuchert. Schienen, Schwellen und Schotter müssen erneuert werden, genauso wie die Entwässerung entlang der Strecke. Stützmauern, Brücken, Durchlässe und Tunnel müssen saniert und Bahnübergänge sowie Signalanlagen modernisiert werden. Noch deutet wenig darauf hin, dass hier demnächst die Zukunft starten soll.
Der Bedarf immerhin ist schon da: Rund 2800 Fahrgäste pro Tag erwartet der Verband auf der Hermann-Hesse-Bahn. Erfahrungen anderer Projekte zeigten: „Ist die bessere Bahnanbindung erst da, wird sie auch genutzt. Die Fahrgastzahlen steigen.“
Taugt das Batterie-Zug-Modell auch für andere stillgelegte Strecken? „Der Einsatz batterieelektrischer Züge bei der Hermann-Hesse-Bahn und der Kinzigtalbahn wird sicher in anderen Regionen aufmerksam verfolgt werden“, heißt es aus dem Verkehrsministerium. Erfahrungen, die hier und in anderen Bundesländern gesammelt werden, könnten andere Träger zum Ausstieg aus Dieselstrecken veranlassen. Dort, wo es geht. Denn die Batteriezüge müssen an ein elektrifiziertes Bahnnetz angebunden sein, damit die Batterien wieder aufgeladen werden können.