Herbert Grönemeyer singt auf dem Cannstatter Wasen vom Sturm, vom Entern und Kentern. Foto: Rothe

Herbert Grönemeyer beschert 32.500 Fans auf dem Wasen ein stürmisches Wechselbad der Gefühle.

Stuttgart - Kaum ein Lied, in dem er nicht von der Weite des Meers singt, die mal bedroht, mal befreit. Vom Sturm, vom Kentern, vom Entern erzählt. Herbert Grönemeyer beschert 32.500 Fans auf dem Wasen am Dienstag zweieinhalb Stunden lang zwischen Albernheit und Sentimentalität ein Wechselbad der Gefühle.

Wenn er kurz vor den Zugaben am späten Abend sein bestes Lied "Mensch" spielt, das mit kreischenden Möwen beginnt und sich fast unmerklich in einen Reggae verwandelt, verwandelt sich auch der Wasen tatsächlich in ein wogendes Meer aus tausenden Armen. Und Herbert Grönemeyer singt "Nach der Ebbe kommt die Flut."

Das Album "Schiffsverkehr" feiert das Unstete

Bevor Herbert Grönemeyer in diesem Jahr sein 13. Album namens "Schiffsverkehr" veröffentlichte, hätte man fast übersehen, wie besessen dieser Mann von der Seefahrt ist. Und auf einmal findet man heraus, dass sein Gesamtwerk voller Meeresmotive ist, die von Fernweh und Heimweh erzählen - vom Shanty, in das sich "Zeit, dass sich was dreht" an diesem Abend verwandelt, bis zu den stur kreischenden Möwen aus "Land unter". Da ist es nur konsequent, dass er für seine aktuelle Tour die 50 Meter lange Bühne in eine Art Schiffsbug verwandelt hat. Zu Beginn lässt er sie im Nebel verwinden. Hochdramatische Orchestermusik schwappt über den Wasen bevor ein dröhnender Shufflerhythmus sich seinen Weg durch den Qualm bahnt und Herbert Grönemeyer - das ist neu - mit einer Gitarre auf die Bühne kommt und selbst den markanten Boogie spielt, der den Song "Schiffsverkehr" vorantreibt. Er singt von den Segeln, die gesetzt sind, von der freien Fahrt auf hoher See, träumt wie ein Glamrocker vom sich Verlieren im Uferlosen. Und wenn sich der Nebel verloren hat, sieht man ihn als Seemann verkleidet auf dem Ausguck vergnügt in die Ferne blicken.

Zunächst scheint er auf dieser riesigen Bühne, auf der sich sich seine Band ein wenig zu verlieren droht, erst einmal seine neue Platte komplett nachspielen zu wollen, legt erst einmal das mit anstrengenden Synthesizern verzierte "Kreuz meinen Weg" und das ulkige "Fernweh" nach. Die Stimmung der 32.500 Fans auf dem Cannstatter Wasen wird jedoch merklich besser, als die Klassiker kommen. Die Ballade "Halt mich", die nicht tot zu kriegende "Bochum"-Hymne und das diesmal unerhört rockende "Musik nur wenn sie laut ist" spielt er schon sehr früh.

Das Album "Schiffsverkehr" feiert das Unstete, Unruhige. Und das passt sehr gut zu Herbert Grönemeyers Repertoire. Da sind zum einen die empfindlichen Stimmungsbilder wie die hochkonzentrierte Ballade "Deine Zeit", in der er sich mit der Demenzkrankheit seiner Mutter auseinandersetzt, oder das sich in einen souligen Groove lehnende "Zur dir", das er zu seinem Lieblingslied erklärt.


Zu "Flugzeuge im Bauch" wird sich der Publikumschor lautstark zu Wort melden. Ganz still wird es dagegen, wenn er am E-Klavier diese betörende Liebeslied "Der Weg" singt, das sicher noch wirkungsvoller gewesen wäre, wenn Grönemeyer es nicht mit Synthesizerstreichern verziert hätte. "Ich trag dich bei mir, bis der Vorhang fällt", singt er. Für solche Songs liebt man ihn. Für Songs, die dem Kitsch zwar ganz nah kommen, aber sich ihm nicht ergeben.

Und diese betörende Feinfühligkeit des Sängers und Songschreibers Herbert Grönemeyer prallt immer wieder unvermittelt auf Stimmungshits, die sich nicht für ihre Albernheit schämen, Da behauptet er auf einmal, "man sollte meine Lieder nicht zu ernst nehmen", spielt "Was soll das?" und gibt zur lustigen Akustikgitarre Beziehungskrisen der Lächerlichkeit preis. Das ist "Männer," das überkandidelt voranstürmt, während Grönemeyer ulkig tanzt und seine bunten Turnschuhe vorführt. Da ist "Kopf hoch, tanzen", das sich in eine Polka verwandelt, in eine Das-kann-doch-einen-Seemann-nicht-erschüttern-Variante. Da ist "Alkohol", das er mit heiser, sich überschlagenden Stimme singt, während er sich gleichzeitig bühnenbreit auf der Videoleinwand in einem Bett hin und her wälzt. Und da ist die selbstverliebte Countrynummer "So wie ich"

 "Vollmond" beendet Zweieinhalb-Stunden-Show

Der politisch engagierte Herbert Grönemeyer hat an diesem Abend dagegen nur einen kurzen Auftitt. Das schwierige Lied "Auf dem Feld" erzählt vom Schicksal deutchen Soldaten in Afghanistan, und sehr ernst sagt er, als er den Song ankündigt: "Dieser Quatsch muss endlich aufhören."

Und mit dem furiosen Rocker "Vollmond" wird er am Ende die Zweieinhalb-Stunden-Show wieder zu ihrem aufbrausenden Ausgangspunkt zurückführen und die Fans begeistert zurücklassen.

Die waren insgesamt allerdings nicht ganz so zahlreich erschienen wie erhofft. Schon beim Tourauftakt in Rostock hatte Grönemeyer im strömenden Regen nur 22.000 Fans angelockt. In Stuttgart wurden zwar 32.500 gezählt. Doch als Grönemeyer vor vier Jahren nach der Veröffentlichung seines Albums "Zwölf" gleich nebenan im Stadion gastierte, waren noch 50.000 gekommen.