In den heimischen Backofen in der Küche passen problemlos zwei Brote: Christel Raasch backt seit Ende der 1970er Jahre selbst. Foto: Simon / Granville

Christel Raasch aus Hemmingen backt seit Jahrzehnten selbst. In dieser Zeit hat sich die 72-Jährige so manchen Kniff angeeignet, damit ihre Backwaren gelingen.

Kaum hat sie die Haustür geschlossen, steht sie auch schon im Esszimmer und deutet auf den liebevoll gedeckten Tisch. „Ich habe mal wieder etwas Neues ausprobiert“, sagt Christel Raasch. Sie meint damit die Frühstücksbrötchen, die sie gerade frisch aus dem Ofen geholt hat. Das Rezept habe sie aus einer Zeitschrift. Neben den Erstlingen liegen in einer Schüssel Milchbrötchen mit Rosinen. Selbstverständlich hat die 72-Jährige aus Hemmingen auch die selber gebacken. Der Brotteig geht derweil noch. „Er ruht, bis es passt“, sagt Christel Raasch und lacht.

 

Eine Aussage, die Anfängern zu vage sein dürfte. Christel Raasch dagegen weiß mittlerweile genau, wann beim Brotbacken der richtige Zeitpunkt für den nächsten Schritt gekommen ist. Die Hemmingerin, die im Etterhof Brotbackkurse gibt, hat Ende der 1970er Jahre damit angefangen, Backwaren buchstäblich selbst in die Hand zu nehmen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt beschlossen, ihre Ernährung und die ihrer Familie auf Vollwert umzustellen. Das heißt, dass die 72-Jährige seitdem großen Wert auf frische, unbehandelte Lebensmittel legt sowie auf Vollkornprodukte. Zucker isst sie möglichst wenig.

Am Anfang häufig Fladenbrot

Sie und ihr Mann haben in Hemmingen eine Drogerie gehabt, erzählt Christel Raasch – und damals überlegt, was sie noch anbieten können. „Vollwerternährung war früher etwas Exotisches“, erinnert sich Christel Raasch, die für die Drogerie zum Beispiel eine Mühle angeschafft hat. Sie las sich in das Thema Vollwerternährung ein und fing dann auch an zu backen. Am Anfang häufig Fladenbrot. Weißmehl habe sie zunehmend mit Vollkorn gemischt, denn den Vollkorngeschmack hätten die Leute nicht gekannt. Christel Raasch sagt, es sei wichtig, Essen als Essen wahrzunehmen – und nicht in erster Linie als etwas, das gesund sei. „Bei Vollwerternährung fehlt nichts, aber das Essen muss eben schmecken“, sagt die Mutter zweier Kinder.

Bevor sie in die Küche verschwindet, um den Ofen auf 230 Grad vorzuheizen und sich dem Brotteig zu widmen. In einer weißen Schüssel aus Emaille liegt eine 2,8 Kilo schwere Masse aus Weizen und Roggen. Ihren Sauerteig setzt Christel Raasch immer schon am Abend an. Das sogenannte Anstellgut, ein Rest Sauerteig für weitere Backvorgänge, bleibt über Nacht mit Roggenmehl und Wasser gemischt stehen. Am Morgen kommen noch Mehl aus Weizen, weiteres Wasser, Hefe sowie Salz hinzu. „Ohne Salz schmeckt Brot nicht. Es neutralisiert“, sagt Christel Raasch.

Körner werden gemahlt, bevor das Mehl gebraucht wird

Ihr Mehl holt die Hemmingerin für gewöhnlich aus der Mühle beziehungsweise sie kauft dort die Körner, die sie daheim im Keller mahlt, kurz bevor sie das Mehl benötigt. Das dauere wenige Minuten. „Vollkornmehl klumpt nie“, sagt Christel Raasch. Zudem stecken in Vollkornmehl erwiesenermaßen erheblich mehr Nähr- und Ballaststoffe als in Weißmehl.

Brotteig knetet Christel Raasch auch mal 20 Minuten lang. „Ich knete so lange, bis der Teig die Schüssel putzt und die Hände sauber sind.“ Überließ sie diese Arbeit früher der Knetmaschine, nimmt sie heute die Hände, weil sie geringere Mengen backt. Das Ziel ist, eine homogene Masse zu bekommen. Klebt der Teig, verwendet Christel Raasch Öl. Gebe man Mehl und noch mehr Mehl dazu, werde der Teig nämlich fest – die fertige Backware ist dann am Ende auch hart.

Backen kostet Zeit. Aber . . .

Christel Raasch hat sich im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Kniffe angeeignet. „Am besten ist, man hat beim Kneten immer nur eine Hand in der Schüssel – und die andere an der Schüssel“, rät sie und lacht. Das zahle sich aus, wenn beispielsweise das Telefon läutet oder jemand an der Tür klingelt. Und: Beim Kneten solle man den Teig besser nicht in den Boden drücken. Sondern ihn in der Schüssel locker herumwerfen. Christel Raasch drückt nach dem erneuten Kneten ihren Daumen sanft in den Brotteig. Der Abdruck bleibt, der Teig ist bereit. Zwei Laibe werden geformt. Länglich, das findet die 72-Jährige praktikabler als runde Brote. Auch deshalb, weil sie so besser in den Ofen passen. Backt Christel Raasch mal vier Brote auf einmal, nutzt sie ihren Ofen im Keller.

Christel Raasch sagt, Brot backen kostet Zeit. Allerdings hält sie es für eine Ausrede zu behaupten, man habe keine Zeit, um Brot zu backen. „Man muss nur zu der Zeit da sein, in der das Brot die Hände braucht.“ Sie überschlägt den Aufwand grob im Kopf. Es seien insgesamt rund eineinhalb Stunden Arbeit, ehe das Brot im Ofen ist. Die Hobbybäckerin empfiehlt, sich vorher zu überlegen, wann das Brot fertig sein soll und wann man somit mit der Arbeit loslegen muss. Im Zweifel ist das am Tag vorher. „Auf die Schnelle funktioniert das oft nicht“, weiß Christel Raasch aus Erfahrung.

Die Hefe müsse sich der Bekömmlichkeit wegen in Ruhe entwickeln. Die 72-Jährige investiert am Abend etwa eine Viertelstunde Zeit, wenn sie beschlossen hat, Brot zu backen. Es brauche nur wenige Zutaten, vor allen Dingen aber enthalte selbst gebackenes Brot keine Zusatzstoffe. „Selbstgemachtes hält außerdem länger frisch“, sagt Christel Raasch. Und birgt Überraschungen. „Vollkorn bleibt nie so, wie es ist. Jedes Brot schmeckt anders.“

Brezeln gibt’s „schon mal“ vom Bäcker

Ehe Christel Raasch die beiden Laibe in den Ofen schiebt, schneidet sie sie mit einem Messer ein. Das verhindert unter anderem, dass die Kruste beim Backen an Stellen aufreißt, an denen man das nicht will, weil Gase entweichen. Nachdem die Laibe im Backofen sind, erzeugt Christel Raasch darin mit einem Sprüher noch Wasserdampf. Für eine schöne Kruste. Außer Brot und Brötchen, darunter auch Laugenbrötchen, backt Christel Raasch viele Kuchen und macht Spätzle. Bloß eine Laugenbrezel, die kauft sie „schon mal“ beim Bäcker. Aber sicher nicht mehr lang. „Ich muss die Form noch üben.“

Alles rund ums Brot

Die Backtage
 Im Hemminger Etterhof findet jeden ersten Freitag im Monat ein Backtag statt. Christel Raasch leitet ihn und gibt dabei auch Brotbackkurse. Das Angebot sei heiß begehrt, sagt die 72-Jährige. Meist gibt es mehr Anmeldungen als freie Plätze. Die Brotbacktage wurden ins Leben gerufen, nachdem der Etterhof einen eigenen Holzbackofen erhalten hatte. Die Idee hatte Manfred Gutbrod, der für die ortsgeschichtlichen Räume in der Eisgasse verantwortlich zeichnet und im August 2020 überraschend gestorben ist, schon lange.

Das Backhaus
 Das Fundament für den Ofen wurde im April 2018 erstellt, im Juli wurde das Backhaus eingeweiht. Der Ofen steht auf einem Sandsteinsockel, dessen Steine Teile des ehemaligen Gasthauses „Zum Löwen" sind. Der Ofen selbst wurde mit alten Ziegelsteinen aufgemauert. Ein Bausatz diente dem Brennraum im Inneren. Unterstützung erhielt das Etterhof-Team vom Bauhof der Gemeinde Hemmingen und von örtlichen Handwerkern. Je Backgang schafft der Ofen zehn bis zwölf Brote. Zum Anheizen sind circa 15 Kilo trockenes Holz nötig.