Helmut Kohl ist seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt. Der Alt-Kanzler ist schwer gezeichnet von einem Sturz im Februar 2008, bei dem er ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Foto: dpa

Er hat Großes geleistet und persönlich viele Wunden geschlagen. Er ist der Kanzler der Einheit, dessen Spendenaffäre seiner Partei bis heute belastet. Am Karfreitag wird Helmut Kohl 85 Jahre alt. Eine Annäherung.

Berlin - Es ist eine bittere, aber vielleicht die treffendste Beschreibung: Helmut Kohl ist heute ein gefesselter Riese. So hat es Österreichs früherer Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Dezember in Dresden bei einem Festakt mit Kohl zum 25. Jahrestag des Mauerfalls formuliert. 2008 erlitt Kohl bei einem Sturz ein Schädel-Hirn-Trauma, seither sitzt er im Rollstuhl und kann nur schwer sprechen. Am Karfreitag wird er 85 Jahre alt. Kohl, der Rekord-Kanzler, der „Kanzler der Einheit“, der einstige CDU-Übervater, dem Partei und Bürger über viele Jahre folgten - und an dem sich viele Menschen bis heute reiben.

Kohl-Freund Schüssel sagt, man habe immer gewusst: „Im Zweifel können wir uns auf diesen Riesen, der heute hier gefesselt vor uns sitzt, (...) verlassen.“ Andere Weggefährten haben sich von ihm abgewandt. Die Beziehung zu seinen Söhnen gilt als schwer belastet, sein Verhältnis zu weiten Teilen der CDU seit der Spendenaffäre als getrübt. Die Partei veranstaltet keine Feier an seinem Geburtstag. Stattdessen soll es im Sommer ein Symposium zu seinen Ehren geben. „Den Geburtstag selbst verbringt Dr. Helmut Kohl im privaten Kreis“, teilt die Konrad-Adenauer-Stiftung mit. Vermutlich will es Kohl selbst so. Eine Anfrage beantwortet er nicht.

Einstige Weggefährten sind besorgt

Die Junge Union will ihm aber eine ganze Sammlung von Geburtstagsständchen schicken, und die CDU-Landesgeschäftsstelle von Rheinland-Pfalz will sich nach Kohl benennen. Kleine Aufmerksamkeiten für einen Mann, der Großes geleistet hat, und an den die Partei nicht mehr so richtig heranzukommen scheint.

Der einstige Regierungschef tritt nur noch selten öffentlich auf, und wenn er spricht, ist er kaum zu verstehen. Im November stellte er in Frankfurt am Main ein Buch vor, das er mit Hilfe seiner zweiten Frau Maike Kohl-Richter geschrieben hat: „Aus Sorge um Europa“. Bei der Präsentation saß seine Frau neben ihm, rückte Zettel zurecht, flüsterte ihm etwas zu und war mit einem Taschentuch zur Stelle.

Maike Kohl-Richter wird von verschiedenen Seiten verantwortlich gemacht für Kohls Entfernung von seinen Söhnen Walter und Peter und alten Wegbegleitern wie seinem Fahrer „Ecki“ Seeber. Kohls früherer Ghostwriter Heribert Schwan erklärt Maike Kohl-Richter offen zu seinem „Feindbild“. Sie habe seine Arbeit mit Kohl beendet und strebe die „Deutungshoheit“ über seine Kanzlerschaft an, sagt Schwan.

Er saß 2001 und 2002 mehr als 600 Stunden mit Kohl zusammen und nahm dessen Erzählungen für die Memoiren des Altkanzlers auf Band auf. 2014 veröffentlichte Schwan aber sein eigenes Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“ - mit saftigen, von Kohl nicht freigegebenen Zitaten über Angela Merkel („Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen“), Heiner Geißler, Rita Süssmuth und anderen. Kohl klagte mit Erfolg auf Herausgabe der Bänder und gegen die Verwendung von 115 Zitaten. Am 5. Mai entscheidet das Oberlandesgericht Köln womöglich, dass alle Zitate gestrichen werden müssen.

Eine politische Karriere der Superlative

Mehr als 40 Jahre war Kohl Parlamentarier, zuerst im Mainzer Landtag und von 1976 an im Bundestag. Sieben Jahre war er Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Als erster deutscher Kanzler kam er durch ein konstruktives Misstrauensvotum am 1. Oktober 1982 an die Macht und stürzte Helmut Schmidt (SPD).

Politisch hat er Rekorde errungen, die Nachfolger nur schwer brechen können: 16 Jahre Bundeskanzler (1982 bis 1998), 25 Jahre CDU-Vorsitzender. Und er hat seinen Platz in der Geschichte als der Kanzler, der die Chance zur deutschen Einheit schnell und entschlossen nutzte. So ist er auch der „Kanzler der Einheit“. 1998 wählten die Bürger ihn ab, Rot-Grün gewann.

Sein Lebenswerk: Der Euro

Dabei wollte Kohl 1996/97 eigentlich schon als Kanzler zurücktreten: „Ich glaubte, 14 Jahre waren genug. Ich hatte auch genug geschafft“, sagte er in einem NDR-Interview, das 2003 geführt und in ganzer Länge erst jetzt, zwölf Jahre später ausgestrahlt wurde. Er wollte den Weg freimachen für Wolfgang Schäuble - doch dann rückte die Euro-Einführung näher und er sah sich als einziger Garant, die damalige knappe schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag zu sichern.

„Ich musste es durchsetzen. Es gab damals ja Gerede, eine Währung, in der Italiener und Griechen dabei sind, kann niemals eine ordentliche Währung werden“, sagte Kohl 2003 im Rückblick. Bei der Vorführung des Interviews Mitte März in einem Berliner Kino müssen die Zuschauer an dieser Stelle lachen. Griechenland steht vor der Staatspleite und belastet die Gemeinschaftswährung. Der Film ist eine Reise in die Vergangenheit, wo ein großer schwerer Mann mit Charme, Humor und Härte über die Höhen und Tiefen der Politik erzählt. Dabei weiß man, dass eben dieser Mensch seit langem so nicht mehr auftreten kann.

Spendenaffäre als schwarzer Schatten

Mit der CDU-Spendenaffäre, die die Partei und die ganze Republik 1999 erschütterte, verlor Kohl schließlich für viele Menschen seine Vorbildfunktion. Es war Merkel, die als Generalsekretärin die CDU von ihrem Übervater emanzipierte. Für viele markiert das den Beginn ihrer fortan wachsenden Stärke bis zur eigenen Kanzlerschaft 2005. Versöhnt haben sie sich bis heute nicht. Kohl stellt sich bis heute über geltendes Recht, indem er die Namen jener Spender verschweigt, von denen er Geld am Gesetz vorbei für die Parteiarbeit angenommen hatte. Er habe den Geldgebern sein Ehrenwort gegeben, begründet Kohl das.

Er konnte Menschen schon immer mit Wärme, Witz und Protektion für sich einnehmen. Zu Kanzler-Zeiten beförderte er Karrieren und vernichtete sie. Für Unterstützung erwartete er Dankbarkeit. Als der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte, Dankbarkeit sei in der Politik keine Kategorie, verstand Kohl das nicht.

Privat hat er seine engste Familie verloren. Seine erste Frau Hannelore, die er 1960 heiratete, litt an einer unheilbaren Lichtallergie und nahm sich 2001 daheim in Oggersheim das Leben. 2008 heiratete Kohl die mehr als 30 Jahre jüngere Regierungsdirektorin Maike Richter. Zu seiner Hochzeit waren seine Söhne nicht eingeladen. Walter Kohl berichtete später von Enttäuschung, Kummer und Distanz in seinem Leben als Kanzlersohn. Vor zwei Jahren sprach er aber von „einseitiger Versöhnung“ mit seinem Vater. Dieser sagte im November 2014 dem „Stern“, er habe kein gutes Verhältnis zu seinen Söhnen. Und trotzdem: „Ich bin glücklich.“