Der Bundestagswahlkampf ist in der heißen Phase. Selten standen die Kandidaten an so vielen Fronten unter Druck. Jetzt müssen sie reden, reden, reden. Auch wenn alles schon gesagt ist, meint unser Kommentator.
In zwei Wochen werden wir wissen, wie die Bundestagswahl ausgegangen ist. Wer mit wem regieren will oder muss, hingegen noch nicht. Bis dahin jedenfalls läuft die letzte Phase des Wahlkampfs, die man gemeinhin mehr aus Gewohnheit als aus Erregung die heiße nennt. Die Spitzenkandidaten zieht es hinaus vor großes Publikum. Olaf Scholz ist am Wochenende zur Wahlarena des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach Potsdam gereist, Friedrich Merz zog es zum CSU-Parteitag nach Nürnberg, Robert Habeck tourte durch Schleswig-Holstein und Berlin, Alice Weidel war in Rheinland-Pfalz und im baden-württembergischen Heidenheim.
Jeder wird hinterher behaupten, bei ihm sei die Stimmung gut gewesen. Wer ins Land schaut und hinhört, was die Menschen sagen, weiß aber: Die Stimmung ist schlecht. Dazu braucht man keine großen Umfragen.
Olaf Scholz und Friedrich Merz sind beide in der Breite wenig beliebt
Maue Wirtschaft und gefährliche Zuwanderung, labile soziale Gerechtigkeit und kostspielige Kriegsangst: Selten standen Wahlkämpfer bei einer Bundestagswahl an so vielen Fronten unter Druck. Auch unter Rechtfertigungszwang. Vorwürfe und Versprechen gehören zum Repertoire. Persönliche Anwürfe auch.
Ein medialer Sonntagsschnack des abgeschlagenen Kanzlers mit seinem wahrscheinlichen Nachfolger, gleichzeitig ausgestrahlt in ARD und ZDF, mag den einen oder die andere in ihrer bisherigen Entscheidung vielleicht noch verunsichern. Aber auch das prägt diesen Wahlkampf: Ob Olaf Scholz oder Friedrich Merz – da streiten zwei in der Breite nicht oder wenig beliebte Spitzenkandidaten um die Gunst des Souveräns.
Beide mit seit langem stabilen Umfragewerten. Ein Sozialdemokrat mit der großen Angst vor dem schlechtesten SPD-Wahlergebnis in der bundesdeutschen Geschichte, ein Christdemokrat mit der Perspektive auf einen begeisterungsarmen Sieg. Und beide mit der Sorge, am Ende in einer falschen, ungeliebten Koalition zu landen. In der Furcht, 2029 endgültig mit leeren Händen dazustehen. Ob die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken richtig liegt, wenn sie einen wie Merz ungeeignet nennt, Regierungschef zu sein, muss sich noch erweisen. Dass Scholz ein Problem-Kanzler war, ist zu beweisen.
FDP mit Existenzangst, AfD zwischen einfacher Freude und Jubel
Die FDP wird ihre berechtigte Existenzangst bis zum Wahlabend nicht loswerden, die Habeck-Grünen das liebedienerische, wenngleich manchmal wohltuende Koalitionslavieren auch nicht. Frau Wagenknecht hat vorsichtshalber bereits ihren Rückzug angekündigt, wenn es für ihr Bündnis nicht zum Einzug ins Parlament reichen sollte. Die Linke wundert sich, dass sie doch noch zuckt. Und die AfD wartet einfach ab, ob sie sich nach der ersten Hochrechnung nur freuen kann oder richtig jubeln darf.
Dass die AfD in der Komfortzone des Wahlkampfes sitzt, daran haben alle in der sich so nennenden demokratischen Brandmauer-Mitte ihren Anteil. Tausende Demonstranten glauben, gegen die CDU ins Feld ziehen zu müssen, um sie ehrabschneidend und böswillig als Steigbügelhalter für Rechtsextreme, Stockkonservative, Kreml-Freunde oder einfach nur zutiefst Unzufriedene zu diffamieren. Mit schmutzigen Aktionen und hasserfüllten Parolen. Und mit dem dummen Anspruch, allein darüber bestimmen zu dürfen, was im politischen Kampf der Argumente und Zwänge erlaubt ist und was nicht. Der rote und grüne die Faschismuskeule schwingende Alleinvertretungsanspruch, die wahre demokratische Mitte zu sein, ist abschreckend und wird mit seiner Arroganz nicht ohne Folgen bleiben.
Die heiße Wahlkampfphase läuft also. Noch zwei Wochen. Die Parteien müssen mobilisieren. Die Kandidaten müssen überzeugen. Reden, reden, reden. Auch wenn alles schon gesagt ist.