Spiegelungen, Zeitsprünge, Querverbindungen – und alles zum Lob der Hausarbeit: Heinrich Steinfest Foto: dpa

Mission Impossible in Heidelberg: Heinrich Steinfests neuer Roman „Die Büglerin“erzählt die Geschichte einer Meeresbiologin, die sich eine Sühne auferlegt. An diesem Montag stellt der in Stuttgart lebende Autor sein ungewöhnliches Buch im Literaturhaus vor.

Stuttgart - Heinrich Steinfest hatte schon immer ein Faible für ausgefallene und unterschätzte Berufe wie Haischwimmer, Bademeister oder Baumheiler. Bei ihm schulen Pornodarsteller zum Strickwarenverkäufer um, und selbst Hunde sind sich zu fein zum Wildpinkeln. Als er noch brotloser Maler war, schlug sich Steinfest mit Nebenjobs als Putzmann durch, und ein „begeisterter Putzer“ ist er geblieben: Hausarbeit, richtig erledigt, besitzt eine Anmut und Würde, die man nicht allein den Frauen überlassen darf. Tonia Schreiber, die Heldin seines neuen Romans, bügelt nicht aus sozialer Not. Im Gegenteil: Zwei größere Erbschaften vermachte sie der katholischen Kirche, obwohl sie mit Gott und den Pfaffen sonst nichts am Hut hat. Bügeln ist für sie Freiheit, schöne Kunst und vor allem: Buße.

Einmal in ihrem Leben hat Tonia versagt, und über dieses Trauma kommt sie nicht hinweg. Als sie mit ihrer geliebten Nichte „Mission Impossible 4“ mit Tom Cruise ansah, schoss ein Mann im Kino wild um sich. Weil sie Emilie nicht retten konnte, gibt Tonia als Sühne ihr altes Leben als Meeresbiologin und gutsituierte Aquarienbesitzerin auf, um als unterbezahlte Bügelsklavin zu arbeiten. Bisher hat Steinfest – in Australien geboren, in Wien aufgewachsen, seiner Wahlheimat Stuttgart in Hassliebe verbunden – seine Romane meist in Wien, Stuttgart und, wie zuletzt „Das grüne Rollo“, in surrealen Parallelwelten angesiedelt, die oft wie ein Gemeinschaftswerk von Kafka, Bob, dem Baumeister, Jules Verne und Wunderland-Alice anmuten. Die Büglerin bügelt jetzt in Heidelberg, der Stadt der klugen Leute, joggt auf dem Philosophenweg und muss sich des Altherrencharmes übergriffiger Professoren und pensionierter Chefärzte erwehren.

Merkel hat Mao verschluckt

Heidelberg als Tatort ist neu, Bügeln als Buße und Berufung auch. Alles andere ist wie gehabt, seit Steinfest die Krücke der Genreliteratur weggeworfen hat, um noch freier fantasieren und assoziieren zu können. Wieder einmal stiftet er unvermutete Korrespondenzen und abwegige Querverbindungen, lässt schräge Gestalten auftauchen und in elementaren Unfällen – hier vorzugsweise im Wasser – verschwinden. Er preist die Weisheit von Kindern und Tieren und produziert Unmengen tröstlicher Bonmots („Trost ist nichts anderes als ein Verstehen“), gescheiter Sätze („Auch Krankheiten können sich irren und mal in die falsche Schublade greifen“) und Ideen, auf die man erst mal kommen muss. Zum Beispiel, dass Angela Merkels Körperhaltung dem Betrachter suggeriert, sie hätte gerade Mao Zedong geschluckt.

Die Realität birgt mehr Wunder und logische Wurmlöcher, Hinter-, Neben- und Unterwelten, als selbst ein furchtloser „Allesforscher“, der Titel eines anderen Steinfest-Romans, sich träumen lässt. Handlung, Konstruktion und nachvollziehbare Logik gehören allerdings nicht zu Steinfests Stärken. Deshalb polarisiert er. Die einen mögen sein krudes Gebräu aus Krimi, Mystery, Science-Fiction und Satire, seinen schwarzen Wiener Humor, seine Paradoxa und übernatürlich schiefen Metaphern. Für die anderen ist das furchtbar überladen und auf Dauer langweilig: preziöse Wortfindungen, selbstverliebte Erzählerkommentare, eine Überdosis an Absurdität und Grotesken. Steinfest lässt sich von seinen Geschöpfen gern in unbekannte Welten treiben, und dabei treibt er es manchmal wirklich zu weit. Dann findet er, wie zuletzt in seinem 600-Seiten-Roman „Das Leben und Sterben der Flugzeuge“, kein Ende und der Leser keinen roten Faden mehr im Knäuel der Ideen, Einfälle und poetischen Bemerkungen. Kein Wunder, dass Steinfests Lieblingssatz „Kein Wunder“ heißt: Überleitungen und Zeitsprünge werden mit der heißen Nadel absolviert, logische Knitterfalten mit dem Plätteisen des Zufalls glatt gebügelt.

Was hat Whiskey mit der Neugeburt zu tun?

„Die Büglerin“ ist vergleichsweise kurz, aber der Plot ist bizarr. Offenbar hat Tonia damals im Kino den Sohn eines russischen Samenspenders und Schachgenies beim erweiterten Suizid gestört; der Kommissar heißt Halala, das wichtigste Indiz ist Malewitschs „Schwarzes Quadrat“ als Wäschemonogramm und Tattoo. Immerhin, Tonia ist in ihrer Mischung aus keuschem Eigenwillen und sportlicher Demut eine sympathische Heldin. Karl, ihr platonischer Liebhaber, leidet unter krankhaftem Schwitzen und hat im Hinterzimmer seines Gemüseladens „Das grüne Rollo“ eine Tortentheke mit „bekirschten Schwarzwälderinnen“ aufgebaut. Auch Steinfest stellt wieder jede Menge Steinfestiana in seine Kuchenvitrine: gescheite und komische Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen Neugeburt und Whiskey, Erlösung und Torten, Wissenswertes über mexikanische Rosskastanien, die Geistermuräne Margaret und das Prinzip der Verzwergung.

Nichts wird lieblos durch die Heißmangel gedreht, alles mit Köpfchen und von Hand gestreichelt. Tonia bügelt zwar „auch nur mit Wasser“, aber sie hat ein Bügelbrett mit dem Namen Lanzelot. Bügeln ist für sie das Zusammenspiel von Materialität und Transzendenz, Präzision und Magie. Glätte ist nur ein „Zustand konzentrierter Erschöpfung“: Die Wäsche verliert die Kraft, hässliche Falten zu bilden, deshalb lassen manche Professoren die Büglerin auch nicht an ihre Unterwäsche. Am Ende opfert sich Tonia ein zweites Mal, jedoch mit mehr Glück als bei „Mission Impossible 4“. Der Tod, niemand weiß das besser als die Wienerin, lässt mit sich reden, wenn man ihn höflich bittet. Was das für das Leben und die Liebe bedeutet, muss jeder selber mit sich ausmachen: „Ein Buch tut im Kopf des Lesers mehr, als jeder Autor sich erträumen oder wovor er sich fürchten mag“.