In kleinen Gruppen kommen die Kinder zur Ruhe – eine wichtige Voraussetzung, um Fortschritte machen zu können. Foto: Ines Rudel

Seit 50 Jahren fördert die Lebenshilfe Göppingen an ihrem Stammsitz in Heiningen in vier kleinen Gruppen geistig und körperlich behinderte Kinder. Die Mädchen und Jungen kommen aus dem ganzen Landkreis.

Heiningen - Das kleine Mädchen, nennen wir es Lisa, fasst sich an die Wange und lacht keck. Wie seine Puppe heißt, kann es nicht sagen, denn mit Sprechen tut sich die Sechsjährige schwer. Im Schulkindergarten der Göppinger Lebenshilfe in Heiningen wird sie dafür nicht schief angesehen. Denn jedes der Kinder in den vier Gruppen hat ein Handicap und braucht viel Betreuung. Vor 50 Jahren wurde dieser besondere Kindergarten eröffnet – damals völliges Neuland.

Ein Blick zurück. 1967 – die NS-Zeit hallt noch nach. In den Jahren der NS-Diktatur wurden viele behinderte Menschen brutal ermordet, weil ihr Leben als „lebensunwert“ galt. Doch auch noch in den Jahren des beginnenden Wirtschaftswunders verstecken Familien aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung ihre behinderten Kinder zu Hause oder in Anstalten. Entsprechend alleine stehen sie mit ihren Sorgen und Nöten da. „Für behinderte Kinder gab es damals gar nichts“, resümiert der Sozialpädagoge Michael Tränkle knapp, der den Schulkindergarten leitet. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Gründung des Schulkindergartens als ein emanzipatorischer Akt sehen. Denn die Lebenshilfe ging in Göppingen 1963 als Vereinigung betroffener Eltern an den Start. „Der Kindergarten war im Kreis Göppingen eine unserer ersten Einrichtungen überhaupt; das zeigt, wie wichtig er war“, sagt Tränkle. Die Kinder sollten nicht verwahrt, sondern ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend gefördert werden. In der Praxis hieß das, Gruppen mit maximal sechs, sieben Kindern zu bilden und besonders qualifiziertes Personal einzustellen.

Ganzheitliche Erziehung

Obwohl sich an diesem Rahmen nichts geändert hat, hat sich die Methodik im Lauf der Zeit stark gewandelt. Ende der sechziger Jahre sei die Pädagogik noch von einem autoritären Erziehungsstil geprägt gewesen, sagt Tränkle. „Damals ging es ums Vermitteln, es gab einen klaren Plan, was für diese Kinder gut ist.“ Das vorrangige Ziel sei gewesen, die Mädchen und Jungen möglichst gut auf die Sonderschule und dann auf die Werkstatt vorzubereiten.

Dieser Weg ist mittlerweile nicht mehr vorgezeichnet. „Einmal Lebenshilfe heißt nicht mehr immer Lebenshilfe“, sagt Tränkle. Im Mittelpunkt stehe mehr denn je jedes einzelne Kind. Auch der Gedanke der Inklusion spiele eine zunehmend größere Rolle. So versuche der Schulkindergarten, den Mädchen und Jungen möglichst viele Türen offen zu halten. Auch mit Prognosen halten sich die Mitarbeiter zurück. Es lasse sich nie wirklich abschätzen, wie sich ein Kind entwickle, sagt die Erzieherin Isolde Matena-Trengert, die schon seit 41 Jahren in der Einrichtung arbeitet.

Eine grenzenlose Offenheit sei allerdings nicht im Interesse der Kinder. „80 Prozent unserer Kinder haben es im Regelsystem probiert, bis die Einrichtungen gesagt haben, dass sie das nicht mehr packen“, sagt Tränkle, der immer wieder beobachtet, wie seine Zöglinge in den kleinen Gruppen des Schulkindergartens zur Ruhe kommen und dann anfangen, Fortschritte zu machen. „In Regelkindergärten sind sie von den vielen Reizen überfordert und haben keine Kraft mehr zu lernen.“

Außengruppe in Eybach

Voraussetzung für die Aufnahme eines Kindes ist ein sozialpädagogisches Gutachten des Schulamtes. „Eltern können ihre Kinder nicht einfach anmelden“, sagt Tränkle, der davon überzeugt ist, dass der Schulkindergarten nicht wegzudenken ist. „Wir brauchen einen ganzen Strauß an Möglichkeiten, wir brauchen diesen besonderen Ort, und wir brauchen auch die Begegnung mit der Normalität.“

Ein neues Kapitel hat die Einrichtung erst vor wenigen Jahren aufgeschlagen, als sie in Eybach eine Außengruppe eröffnete, die an den städtischen Kindergarten angedockt ist. Insgesamt besuchen 32 Kinder eine der vier Stammgruppen und die Außengruppe. „Damit sind wir überbelegt, eigentlich sollten es nicht mehr als sechs Kinder pro Gruppe sein“, sagt Tränkle, der momentan über verlängerte Öffnungszeiten nachdenkt. Zurzeit werden die Kinder von 8 bis 14 Uhr betreut. Auch eine wohnortnahe Betreuung hält er für wünschenswert. Dies sei aber noch Zukunftsmusik. „Zurzeit kommen die Kinder aus allen Ecken des Kreises nach Heiningen, das erste wird schon um 6.45 Uhr abgeholt.“

Jubiläumsfeier und Sommerfest


Das 50-jährige Bestehen des Schulkindergartens will die Göppinger Lebenshilfe an diesem Samstag groß feiern. Um 11.30 Uhr beginnt das Fest in den Räumen der Einrichtung in der Heubachstraße 6 bis 10 in Heiningen. Erwartet werden Kinder und Eltern, aber auch Mitarbeiter, Kooperationspartner und Menschen, die die Lebenshilfe unterstützen und zu der Erfolgsgeschichte des Schulkindergartens beigetragen haben. Auch ehemalige Kinder und deren Eltern sind willkommen.

An die Jubiläumsfeier schließt sich das Sommerfest an. Von 14 Uhr an wird auf dem Freigelände ein Programm für Familien geboten. Für Unterhaltung sorgen die Tanzgruppe der Werkstätten und die Heininger Vielharmoniker. Zur Stärkung werden verschiedene Speisen und Getränke sowie Kaffee und Kuchen serviert. Ein kostenloser Shuttlebus fährt in der Zeit von 15.30 bis 17.30 Uhr von Heiningen nach Göppingen, Eislingen oder Bad Boll.