Heiner Geißler Foto: dpa

Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler macht Druck auf die Bahn und fordert mehr Infos.

Stuttgart - Vor dem Abschluss des Stresstests für Stuttgart21 macht Schlichter Heiner Geißler Druck auf die Bahn. Sie müsse die Projektgegner schnellstens besser informieren. Für den Fall, dass der Test am 14. Juli nicht bewertet werden kann, stellt Geißler im Interview den Terminplan der Bahn infrage.

Herr Geißler, sind Sie weiter entschlossen, das Ergebnis des Stresstests öffentlich vorzustellen?

Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, mich eingeschlossen, hat ein Interesse daran, dass das Ganze ein positives Ende nimmt, der Stresstest abgeschlossen wird. Das bedeutet nicht, dass alle damit zufrieden sein müssen, dass aber alle sagen, der Stresstest sei ordentlich durchgeführt worden. Dass man sagt, die Bedingungen, die bei der Schlichtung formuliert wurden, sind erfüllt.

Aber noch wird gestritten, wie das Verfahren und die Ausgangsdaten für den Stresstest waren. Glauben Sie, dass darüber vor dem 14. Juli noch Einvernehmen herzustellen ist?

Das weiß ich nicht. Die Notwendigkeit versuche ich klarzumachen, andere bemühen sich auch. Die Bahn muss nachweisen, dass im Tiefbahnhof bei guter Betriebsqualität ein Fahrplan mit einer Steigerung der Fahrten um 30 Prozent gegenüber dem Kopfbahnhof möglich ist, statt jetzt 37 Zügen dann 49 Züge. Das war die Ausgangslage, nichts anderes. Dem Test müssen die gängigen Standards im Bahnverkehr bei Zugfolge, Haltezeiten und Fahrtzeiten zugrunde gelegt werden. Es muss den Beteiligten aber auch gesagt werden, welche Standards im Test angewandt wurden. Das muss jetzt passieren, nicht zwei Tage vor dem 14. Juli.

Welche Punkte müssen noch geklärt werden?

Zum Beispiel, dass der neue, stressgetestete Bahnhof behindertengerecht und familienfreundlich gebaut wird. Das ist er nach der bisherigen Planung noch nicht. Es hat keinen Sinn, einem Bahnhof ein Testat zu geben, bei dem, wenn es brennt, Frauen mit Kinderwagen und Behinderte mit Rollstühlen nicht mehr ins Freie kommen.

Und zweitens?

Zweitens muss die Bahn ein Notfallkonzept für den Fall vorlegen, dass die Tunnel gesperrt sind. Drittens muss sie Brandschutzmaßnahmen darlegen, wie die Stuttgarter Feuerwehr sie konzipiert hat. Das ist ebenfalls Inhalt des Schlichtungsergebnisses, auf das sich alle verpflichtet haben. Das ist eine öffentliche Verpflichtung, wie wenn ein Vertrag abgeschlossen worden wäre. Da kann die Bahn nicht sagen, das mache ich nicht. Dazu hat sie sich rechtlich verpflichtet. Sie muss auch sagen, was das ungefähr kostet. Das sind drei Bedingungen, die im Zusammenhang mit dem Stresstest auch realisiert werden müssen.

Was ist mit Punkten wie der Erhaltung der Gäubahnstrecke und ihres leistungsfähigen Anschlusses an den neuen Bahnknoten?

Die Frage Gäubahn muss natürlich ebenfalls positiv entschieden werden. Das steht aber nicht unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Stresstest. Man darf die Bedingungen jetzt auch nicht überfrachten.

"Wir sollten uns nicht zu sehr mit Baumschützern beschäftigen"

Gegner und Befürworter von S21 warfen sich vor, der jeweils andere habe sich nicht an die Ergebnisse der Schlichtung gehalten. Wie beurteilen Sie das?

Man muss sich schon wundern, dass jetzt eine solche Auseinandersetzung in der Presse stattfindet. Es will halt jeder seine Position noch einmal klarmachen. Das ist aber falsch. Die Leute sind es leid, dass ständig ohne Substanz gestritten wird. Es geht ja gar nicht wirklich um das Ergebnis des Stresstests. Dieses wird möglicherweise einigen Leuten nicht gefallen. Das ist aber auch nicht der Sinn der Sache. Es geht darum, dass die Verpflichtungen eingehalten und die Voraussetzungen geschaffen werden, dass der Stresstest anerkannt wird. Das ist auch für die Gutachterfirma sma wichtig. Wenn die einen Stresstest macht für einen Bahnhof dieser Bedeutung und hinterher sagt das halbe Land, es sei Mist gebaut worden, ist es für die Firma suboptimal.

Es gab jüngst wieder eine Ausschreitung an der Baustelle und Riesenwirbel um lancierte Ergebnisse des Stresstests. Müsste es vor der Stresstest-Präsentation womöglich gar wieder eine Schlichtung geben?

Der Begriff Schlichtung war schon 2010 falsch. Man kann die beiden Seiten nicht zu einer gemeinsamen Lösung führen. Ein Kompromiss zwischen einem Bahnhof oben und einem Bahnhof unten ist nicht möglich. Was wir gemacht haben, war ein Faktencheck. Der hat dazu geführt, dass die Projektgegner als gleichwertige Partner anerkannt worden sind und die Bevölkerung in einer optimalen Weise über die Sachlage informiert wurde. Er war dringend nötig. Er hat ja auch zu einer Meinungsänderung in der Bevölkerung geführt und bei den Grünen und beim Aktionsbündnis Emotionen gedämpft. Darüber hinaus gibt es wenige, die argumentations- und möglicherweise auch denkunfähig sind. Das sind diejenigen, denen es nicht darauf ankommt, ob etwas falsch oder richtig ist. Die würden auch Krawall machen, wenn der Stresstest zum Ergebnis käme, der Bahnhof kann nicht gebaut werden.

Sie meinen militante Parkschützer?

Ich will die Baumschützer gar nicht an den Pranger stellen. Dass sie demonstrieren, ist ihr gutes Recht. Aber sie dürfen keine Gewalt anwenden. Aber wir sollten uns nicht zu sehr mit den Baumschützern beschäftigen. Stuttgart hat ungefähr 600.000 Einwohner, und die Presse beschäftigt sich dauernd mit 80 Leuten, die zum großen Teil gar nicht aus Stuttgart stammen.

Besteht die Gefahr, dass die Veranstaltung am 14. Juli nicht positiv endet und am Ende gar ein neuer Stresstest notwendig ist?

Man kann die Angelegenheit schon sachlich und fachlich in Ordnung zu Ende führen. Das muss auch gemacht werden. Wenn der Zeitrahmen nicht passt, muss er ausgeweitet werden. Das Zeitlimit, das die Bahn da postuliert hat, ist nicht zwingend.

Aber die Bahn AG fürchtet doch Schwierigkeiten und Folgekosten bei Auftragsvergaben im Umfang von 750 Millionen Euro, wenn sie nicht am 15. Juli handeln kann.

Das ist zunächst mal eine Behauptung, die noch lang nicht zu stimmen braucht. Das muss man hinterfragen.

"Man muss halt mit den Firmen reden"

Sie meinen, dass man die Vergaben am 15.Juli notfalls zurückstellen muss?

Dann vergibt die Bahn die Aufträge halt ein paar Tage später oder bis Monatsende. Man muss halt mit den Firmen reden. Die sind doch auch daran interessiert, dass sie Aufträge erhalten.

Die Bahn warnt üblicherweise vor großen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen, wenn solche Vergabeverfahren mit Fristen aus dem Ruder laufen.

Die größten rechtlichen und finanziellen Probleme bekommt die Bahn, wenn der Stresstest nicht anerkannt werden kann.

Dass vorab ein Ergebnis lanciert wurde, konnte Ihnen doch auch nicht recht sein?

Das berührt mich nicht sonderlich. Das sind die üblichen Spiele - mit einem Zusammenspiel von Presse und Beteiligten.

Sie haben den Ministerpräsidenten gelobt. Er habe bisher alles richtig gemacht. Sind Sie Kretschmann-Fan geworden?

Ich glaube, ich sagte, er hat es ganz gut gemacht. Ich habe auch keinen Grund, ihn negativ zu kritisieren. Bis jetzt hat Kretschmann in der schwierigen Situation, in der er sich befindet, eine sehr überlegene und ruhige Regierungstätigkeit gezeigt.

Hat sich Verkehrsminister Hermann Ihrer Meinung nach vergleichbares Lob verdient? Gegen ihn werden Rücktrittsforderungen laut.

Ich äußere mich nicht weiter zu Personen. Was ich über Kretschmann sagte, reicht völlig. Sonst muss ich anfangen, auch noch über andere Leute ein Urteil abzugeben.

"Hermann ist ein Überzeugungstäter"

Es gibt schon Anlass zu der Frage, ob Hermann vielleicht ein versierter Politiker ist, aber kein guter Minister.

Er ist vor allem ein Überzeugungstäter und mir lieber als alle angepassten Politik-Yuppies. Ich beteilige mich nicht an einem Scherbengericht wie bei den alten Griechen.

Wie lief das damals ab?

Bei den alten Griechen konnte jeder Bürger über einen missliebigen Politiker eine Scherbe mit dessen Namen deponieren. Wenn genügend Scherben zusammenkamen, musste der Politiker die Stadt verlassen. Das Scherbengericht der alten Griechen sind heute Hintergrundgespräche und Durchstechereien, die wir in der Mediendemokratie eben haben. Das war damals nicht richtig und ist es heute auch nicht.

Wie wird es nach dem 14. Juli weitergehen? Was müssen wir tun, dass es bis zur Volksabstimmung einigermaßen friedlich zugeht?

Es bleibt bis zur Volksabstimmung friedlich, wenn über das Verfahren zumindest zwischen den wichtigen Partnern Einigung erzielt wird, zwischen der Bahn, der Landesregierung, der Stadt, den Grünen und dem Aktionsbündnis.

Und nach der Volksabstimmung? Wird die Entscheidung befriedende Wirkung haben, oder sind Sie da skeptisch?

Wieso sollte ich skeptisch sein? Eine Volksabstimmung ist im Prinzip immer etwas Richtiges. Jetzt kommt es halt darauf an, was die Menschen im Land sagen. Die Voraussetzungen in Baden-Württemberg sind allerdings nicht optimal mit dem hohen Quorum.

Wozu raten Sie dann?

Die Quoren, die in Deutschland sehr unterschiedlich sind, sollten in allen Ländern der Bundesrepublik überprüft werden. Ein Beispiel aus dem Ausland: In Südtirol gab es ein Quorum von 40 Prozent, dann ist mit 39 Prozent Zustimmung das betreffende Anliegen gescheitert. So etwas schafft mehr Unfrieden als Frieden. Wenn man eine stärkere Bürgerbeteiligung machen will, muss man die Quoren reformieren. Man kann die Zugangsvoraussetzungen, etwa die Zahl der Unterschriften zugunsten einer Volksabstimmung, höher setzen. Die Quoren sollte man jedoch absenken.