Günter Merkl und Horst Löffler vor einem Stollen, der ein Luftschutzbunker war. Foto: Achim Zweygarth

Horst Löffler und Günter Merkl spüren der Geschichte nach und halten Vorträge über den Bezirk West.

S-West - Ein Spaziergang in Begleitung von Horst Löffler und Günter Merkl ist wie ein Ausflug in die Geschichte – in gelebte Geschichte mit persönlichen Erinnerungen und Anekdoten. „Mit uns sprechen die Steine“, sagt Günter Merkl schmunzelnd. So hat das auch ein ahnungsloser Anwohner der Klüpfelstraße von den beiden älteren Herren auf einem ihrer Streifzüge erfahren. Genau hinter seiner Garage sei der Eingang zu einem Stollen, haben die beiden Hobbyforscher dem verblüfften Mann erzählt.

Zu Beginn der 1940er Jahre haben die Buben die Bauarbeiten an zahlreichen Stollen mit Eifer verfolgt, denn die hatten besondere Attraktivität für die beiden. „Wir waren auf der Baustelle und haben die Lore angeschoben, sind dann reingesprungen und sind in ihr aus dem Stollen rausgefahren“, erzählt Merkl. „Die ganzen Halbhöhenlagen sind durchlöchert mit Stollen, und wir kennen viele Eingänge, die wieder zugeschüttet wurden“, sagt Löffler.

Löffler hat im Jahr 2005 der „Brunnenwahnsinn“ gepackt

Auch unweit ihres Lieblingscafés erzählt das Haus Lerchenstraße 75 eine unvergessliche Geschichte aus ihrer Kindheit während des Zweiten Weltkriegs. „Stuttgarter Hofbräustube“ steht heute noch auf der Fassade. Löfflers Großmutter hatte hier gewohnt. Im Erdgeschoss war eine Gastwirtschaft, im Keller ein öffentlicher Luftschutzraum. „Genau über dem Wort Stuttgart ist der Sims durchgeschlagen. Das kommt durch einen Phosphorkanister, den die Alliierten abgeworfen haben. Vom 12. zum 13. September 1944 war das“, Löffler erinnert sich genau an dieses Erlebnis. „Das Haus hat gebrannt, aber meiner Oma und meinen Tanten ist nichts passiert.“

Er und Merkl waren damals zehn Jahre alt. Aber ihre Freundschaft begann viel früher in den Höfen zwischen der Traubenstraße, wo Löffler aufgewachsen ist, und der Lerchenstraße, wo die Familie Merkl wohnte, solange Sohn Günter klein war. Jeden Verschlag, jeden Hauseingang und jeden Brunnen haben die zwei zum Spielen genutzt. „An dem Pumpbrunnen vor dem Café Stöckle haben wir nach der Schule immer gespritzt“, Merkl sitzt heute noch ein kleiner Schalk im Nacken, wenn er davon erzählt. Löffler hat zudem im Jahr 2005 der „Brunnenwahnsinn“ gepackt. Ein Buch mit 300 Stuttgarter Brunnen „von A bis Z“ hat er zusammengestellt. Alle, die  noch stehen, hat er fotografiert und dokumentiert. Von den schmiedeeisernen Pumpbrunnen wie jener, der lange vor dem Café stand, gibt es kaum mehr welche. „Früher waren die an jeder Ecke, und die drei Ebenen waren für Mensch und Tier aufgeteilt: oben gab’s Wasser für die Vögel, in der Mitte für die Menschen und unten für die Hunde“, erklärt Löffler.

Die beiden Hobbyhistoriker haben mit Hartnäckigkeit und großem Zeitaufwand auch den tragischen Tod des Soldaten Emil Waidelich am Bopser rekonstruiert, denn ihr Interesse an Stadtgeschichte reicht über ihren Heimatbezirk hinaus. Auf der kleinen Grünanlage im Zwickel zwischen Hohenheimer- und Etzelstraße pflegen sie den Gedenkstein, der daran erinnert, dass Waidelich dort am 21. April 1945, nur zwei Stunden vor Übergabe der Stadt an die Alliierten, erschossen wurde. Am Jahrestag legen sie für ihn regelmäßig Blumen nieder.

Beide haben ein Auge auf die Entwicklung des Stadtbezirks

Die beiden Pensionäre wirken jedoch nicht nur im Verborgenen, sie bringen ihr Wissen auch unter die Leute. Löfflers Brunnenforschung ist in einen Vortrag gemündet, und hin und wieder wird er von der evangelischen Rosenberggemeinde eingeladen, um darüber zu referieren. Merkl hat vor Kurzem in der Villa Bosch über die Rolle von Carl Friedrich Goerdeler gesprochen, der bei Robert Bosch in Stuttgart 1937 einen Posten als wirtschaftspolitischer Berater erhalten hatte und in dieser Funktion im Ausland vor Hitler und seinen Kriegsplänen warnen sollte. Merkl war Ingenieur und Jahrzehnte bei Bosch, er reiste viel, lebte zwischendurch in Frankfurt am Main und ist inzwischen nach Riedenberg gezogen, aber ohne jede Leidenschaft: „Dort schlafe ich nur. Meine Heimat ist der Westen.“Löffler, der als Banker tätig war, blieb indes Stuttgart und dem Westen treu.

Merkl hat zusammen mit Löffler ein Auge auf die Entwicklung des Stadtbezirks. „Manches gefällt uns nicht“, sagt er. Löffler mischt sich insbesondere bei der Neugestaltung des Diakonissenplatzes ein. Merkl und er haben sich deshalb mit ihrem Freund, dem Architekten Roland Gerlach, zusammengetan, erzählt Löffler. Der hat einen Plan für die Neugestaltung des Platzes gegenüber dem Diakonie-Klinikum gemacht und sich dabei an dessen ursprünglicher Form und Funktion als Ruheoase orientiert. Den Entwurf hat Löffler im Bezirksbeirat vorgestellt und war auch bei zwei Ortsterminen mit Vertretern der Stadt zugegen. „Der Platz soll wieder eine öffentliche Grünanlage und Stätte der Begegnung werden“, fordert er.

Und Merkl erinnert sich an einen weiteren Lausbubenstreich: 1930/40 wurde auch unter dem Diakonissenplatz ein Bunker ausgehoben. „Da haben wir aus der Erde Lehmkügele geformt und sie mit Weidenruten auf die anderen geschnalzt.“ Über den Bunker ist längst Gras gewachsen. Die Neugestaltung des Diakonissenplätzle hingegen ist aktuell und liegt den beiden Nostalgikern am Herzen, nicht nur wegen der Erinnerungen, wie Merkl betont. „Wir fühlen uns aus tiefem Herzen verantwortlich für den Erhalt solcher historischer Ecken.“