Der Grünen-Stadtrat Andreas G. Winter hat mit der Gründung des Freien Musikzentrums einen großen Anteil an der kulturellen Entwicklung Feuerbachs. Foto: factum/Granville

Feuerbach hat sich vom tristen Industriebezirk über die Jahre zum lebendigen Stadtbezirk mit herausragendem künstlerischem Angebot entwickelt.

Stuttgart-Feuerbach - Für Feuerbach wird ein Traum wahr.“ So hat es OB Wolfgang Schuster einst in die Festschrift geschrieben, als am 19. Oktober 2002 das Kultur- und Bürgerhaus mit Freiem Musikzentrum eröffnet wurde. Tatsächlich hatte es einige Visionen seitens des Initiators Andreas G. Winter, viel planerische Arbeit und Durchsetzungsvermögen gebraucht, um eine verseuchte Industriebrache in einen Ort der Kultur zu verwandeln. Und als solcher hat sich das einstige Verwaltungsgebäude der Lederfabrik Roser längst etabliert. In Feuerbach sowieso, aber auch darüber hinaus.

Der erste künstlerische Auftritt in Winters Theatersaal, in dem dank dessen guter Beziehungen in die Szene heute die Großen ihrer Zunft auf der Bühne stehen, hätte dabei passender kaum sein können. Ausgerechnet Albrecht Roser, Deutschlands berühmtester Puppenspieler, hatte der einstigen Arbeiterkantine mit dem Clown Gustav und seiner strickenden TV-Oma neues Leben eingehaucht.

Ausgerechnet deshalb, weil der 2011 verstorbene Puppenspieler aus der Linie der Fabrikantenfamilie Roser stammte und ob seiner Passion sozusagen der verstoßene Sohn der Dynastie war. „Nach dem Konkurs der Firma in einem Roser-Gebäude seine Kunst zeigen zu können, war etwas ganz Besonderes für ihn“, sagt Winter, der seit der Gründung seines Kulturzentrums in Feuerbach nicht nur dieses besondere Gastspiel möglich gemacht hat.

„Feuerbach ist ein lebendiger Bezirk mit multikulturellem Flair“

Nach Feuerbach gezogen ist der gebürtige Stuttgarter und Grünen-Stadtrat Anfang der 1980er Jahre. Damals war er als Pianist auf Konzertreisen und Lehrbeauftragter an kommunalen Musikschulen. 1989 hat er dann mit Kollegen seine erste Musikschule gegründet, in einer Villa am östlichen Ende der Stuttgarter Straße, wo derzeit auf dem ehemaligen Krankenhausareal ein neues Wohngebiet entsteht. „Damals war Feuerbach ganz anders“, sagt er. Ein eher trister Industrieort mit sprödem Charme, einem Supermarkt in der Grazer Straße und einem wegen seiner Größe umstrittenen Einkaufszentrum, das damals gerade hochgezogen wurde.

Das hat sich geändert. „Heute ist Feuerbach ein lebendiger Bezirk mit multikulturellem Flair“, sagt Winter. So ist etwa um die Moschee in der Mauserstraße, einen kurzen Fußmarsch vom Roserareal entfernt, eine kleine Stadt mit allerlei Läden entstanden, vom Reisebüro bis zur türkischen Backstube. „Ein wunderbares Viertel“, sagt Winter, der dort häufig sein Gemüse einkauft.

Das prägende Element bei 28 000 Einwohnern, 30 000 Arbeitsplätzen und Weltfirmen wie Bosch, Behr, Haushahn oder Leitz, ist auch heute noch die Industrie. Prägnant entwickelt habe sich aber vor allem der kulturelle Bereich, so Winter.

Einen erheblichen Anteil daran hat der Musikzentrumsleiter Winter selbst, der gleichzeitig Mitinitiator der Feuerbacher Kulturnacht ist. Diese hat im April zwischen Schulen, Stadtbücherei, Kirchen, Einzelhändlern und Kulturbetrieben ihre sechste Auflage erlebt. „Wir erreichen damit sogar Bürger, die sonst keinen Zugang zur Kultur haben“, sagt Winter, der sich auch als Stadtrat für künstlerische Belange einsetzt – für die musikalische Erziehung von Kindern genauso wie für die Förderung der Spitzenkunst.

Diese ist in Feuerbach in verschiedener Gestalt zu Hause, etwa im Theaterhaus am Pragsattel, das Winter wegen seiner kulturellen Vielfalt schätzt. Neben Gastspielen renommierter Künstler stehen dort Konzertreihen auf dem Spielplan, „Musik der Jahrhunderte“ etwa oder das „Eclat Festival Neue Musik“. Zudem ist das Haus Spielstätte des kanadischen Tänzers und Choreografen Eric Gauthier, der jüngst mit dem Hans-Peter-Stihl-Preis und mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet wurde. „Ihn in Stuttgart zu halten, war ein großer Erfolg“, sagt Winter, der sich dafür starkgemacht hatte, die zuletzt unsichere Finanzierung der Kompanie auch mit Hilfe städtischer Zuschüsse zu sichern.

Winter schätzt an Feuerbach die Wälder und Weinberge

Die Kulturvermittlung und kulturelle Bildung in den Alltag zu bringen, ist eines der Hauptanliegen des 54-Jährigen. Er ist um jeden froh, der den Reigen im Bezirk bereichert, wie zuletzt das Produktionszentrum Tanz und Performance. Das ist seit 2010 im alten Felsenkeller untergebracht und bringt dort Choreografen, Performer, Komponisten und Figurenspieler zusammen. Winter selbst hat in seinem Haus regelmäßig Ausnahmeerscheinungen zu Gast, die bedeutende Konzertsäle füllen: die Pianisten Ivo Pogorelich und Martin Stadtfeld, die Geiger Erik Schumann und Alexander Gilmann sowie den Jazzpianisten Wolfgang Dauner. Eine Einrichtung wie diese stehe in der Pflicht, betont er, „das kulturelle Angebot im Stadtteil zu beleben“. Zudem sei es für die Musikschüler wichtig, Künstler wie den mehrfachen Echo-Klassik-Gewinner Stadtfeld hautnah erleben zu können.

Das Kulturzentrum zu dem zu machen, was es heute ist, sei mitunter ein mühsamer Weg gewesen. „Damals gab es auf dem Areal nichts“, sagt Winter. Heute ist alles da: ein Lokal mit Hausbrauerei und Biergarten, ein Biomarkt, ein Ärztehaus, Läden und Lokale, ein Altenheim. Selbst den Baumarkt, aus architektonischer Sicht nicht unbedingt eine Bereicherung, will er nicht missen. „Der bringt Frequenz“, sagt Winter. Was er an Feuerbach auch schätzt, sind die Wälder, die Weinberge, in denen er mit seinem Golden Retriever Nuevo oft spazieren geht. Hat er viel Zeit, läuft er bis hoch zur Solitude, ansonsten am liebsten auf den Lemberg, der Einzigartiges zu bieten hat, wie Winter schwärmt: den freien Blick auf ganz Feuerbach.