Im Hallschlag hat Claudia Weinschenk viele lebens- und liebenswerte Ecken und Begebenheiten angetroffen. Foto: Steinert

Die Historikerin und Stadtführerin Claudia Weinschenk nimmt Stadtbezirke auf ihre Weise unter die Lupe.

Stuttgart-Bad Cannstatt - Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und ein hoher Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund: der Hallschlag ist mit so vielen negativen Assoziationen besetzt wie kaum ein anderer Stuttgarter Stadtteil. Und das war von jeher so: „Als früher noch die Straßenbahn vom Wilhelmsplatz zum Hallschlag fuhr, trauten sich viele nicht, beim Fahrer ein Ticket bis zur Endhaltestelle zu lösen, sondern fuhren lieber nur bis Altenburg, um sich mitleidige Blicke zu ersparen“, erzählt Claudia Weinschenk.

Sie selbst hat den übel beleumundeten Stadtteil ganz anders kennengelernt. Man müsse nur die richtigen Pfade beschreiten: Abseits der charakteristischen Wohnblocks finde man sich schnell mitten in Kleingartenanlagen und verwunschenen Gärtchen wieder, vom Travertinpark aus etwa überblicke man das ganze Neckartal. „Ich bin hochgekommen und hängen geblieben“, sagt Weinschenk über ihre Begegnung mit den Cannstatter Stadtteilen Hallschlag und Altenburg.

„Viele haben ein falsches Bild vom Hallschlag im Kopf“

Ein Jahr lang hat sie ein Erzählcafé geleitet, jetzt möchte sie eine Monografie über das Gebiet schreiben. Darin soll es aber nicht um Herrschaftsgeschichte und Kriege gehen. Auch über die Römer, die das Gebiet schon um 90 nach Christus besiedelten, sei bereits genug geschrieben worden. „Ich interessiere mich für die Menschen, die hier leben“, sagt die Historikerin. Im Erzählcafé und in Einzelgesprächen hat Weinschenk mit den Menschen darüber gesprochen, wie sie in den Hallschlag oder auf die Altenburg gekommen sind, was sie über die Geschichte ihrer Heimat wissen, wie der Bezirk früher ausgesehen hat und was ihnen gut oder weniger gefällt.

Unter anderem versucht sie Antworten darauf zu finden, wie der Hallschlag zu seinem schlechten Ruf kam und warum sich die Bewohner der Stadtteile Altenburg und Hallschlag bis heute so stark voneinander abzugrenzen versuchen, obwohl ihre Häuser an einigen Stellen doch direkt aneinanderstoßen. „Im Buch sollen Geschichte und Zeitgeschichte des Stadtteils sowie die Lebensbilder seiner Bewohner thematisiert werden.“ Zurzeit führt die Historikerin weitere Einzelinterviews, um ihr eigenes Bild zu vervollständigen.

Eines kristallisiere sich jetzt schon heraus: „Viele haben ein falsches Bild vom Hallschlag im Kopf“, sagt Weinschenk. Dort passiere nicht mehr als in anderen Stadtteilen – zumindest was die Kriminalität betreffe. Vielmehr sei der Stadtteil im Aufbruch begriffen, seit sich im Römerkastell ein Medienzentrum entwickelt habe und mit dem Bund-Länder-Programm „Die Soziale Stadt“ wichtige Impulse zur positiven Weiterentwicklung des Stadtteils gesetzt worden seien.

Sie selbst könnte sich vorstellen, im Hallschlag zu leben

Das Zusammentreffen vieler verschiedener Nationalitäten zum Beispiel wirke sich auf den Stadtbezirk eher bereichernd aus, findet Weinschenk: Südländer etwa zeigten ihren deutschen Nachbarn, wie sich ein einfacher Grünstreifen zwischen den Häusern ganz schnell in einen schönen Picknickplatz verwandele.

Ja, sie selbst könnte sich vorstellen, im Hallschlag zu leben – wäre da nicht ein kleines Problem: „Ich fühle mich im Stuttgarter Süden einfach zu wohl“, sagt Weinschenk schmunzelnd. Die gebürtige Stuttgarterin hat schon in vielen Stadtbezirken gelebt. Die Geschichte der einzelnen Dörfer, aus denen die Landeshauptstadt im Lauf der Zeit entstanden ist, hat die Historikerin, die seit 20 Jahren Stadtführungen anbietet, von jeher interessiert.

Mit einer Führung mit dem Titel „Leben im Dorf Untertürkheim“ hat sie vor einigen Jahren begonnen, diese Geschichten zu thematisieren. In diesem Jahr setzt sie diesen Gedanken mit einer Sonderführungsreihe durch ausgewählte Stadtteile fort: Zum Auftakt war Weinschenk mit Interessierten im Bohnenviertel unterwegs, danach im Hallschlag. Am Freitag dieser Woche ging es nach Hedelfingen. Die Führungen, das ist ihr wichtig, sollen keine Monologe ihrerseits sein, sondern Eventcharakter haben: „Bei den Stadtbezirksführungen besuche ich mit der Gruppe immer eine ortstypische Lokalität, wo es die Gelegenheit gibt, sich auszutauschen.“