Stuttgart hat es wiederholt an die Spitze des Kulturhauptstadt-Rankings in Deutschland geschafft. Unsere Umfrage Heimat-Check macht aber deutlich – in einigen Stadtbezirken hat es die Kultur überraschend schwer.
Magische Tage und Nächte mit einem Festivalreigen von Trickfilm bis Jazz Open auf dem Schlossplatz, ausverkaufte Vorstellungen des Stuttgarter Balletts im Opernhaus und internationale Klassik-Spitzen in den Konzertsälen – das ist die schillernde Kulturseite Stuttgarts. Und der erste Blick auf das Kulturleben in den Stadtteilen scheint das Szenario zu bestätigen. Beispiel Bad Cannstatt: Hochkarätige Konzerte im Großen Kursaal, Hintersinnig-Humorvolles auf dem Theaterschiff oder gar ein ganzer „Kulturmenü“-Tag mit unterschiedlichsten Angeboten aktueller künstlerischer Äußerungen – auch außerhalb der fünften Jahreszeit und dem Kübler-Regiment ist der kulturelle Erlebniswert dort hoch.
Der Weg zurück nach Corona ist steinig
Unser Heimat-Check aber zeigt – die Menschen in Bad Cannstatt glauben nicht so ganz an die kulturelle Kraft ihres Stadtteils. Mit 5,85 Punkten liegt der Wert auf einer Skala von 3,95 Zufriedenheitspunkten beim Thema Immobilienmarkt und 7,09 Zufriedenheitspunkten beim Thema Sauberkeit nur leicht oberhalb des Gesamtwertes von 5,78 Zufriedenheitspunkten unserer Leserinnen und Leser für das Thema Kultur und Freizeit.
Neckarabwärts wird es nicht besser. Ob Münster, Hofen oder Mühlhausen – die Zufriedenheit mit Angeboten aus Kultur und Freizeit ist eher unterdurchschnittlich. Vorsicht aber: Der Weg zurück ins Scheinwerferlicht ist nach Corona auch für langjährige Erfolgsmodelle wie das Boulevärle in Münster steinig. Dafür spielt sich etwa die Bläser dominierte Scillamusik der Hofener Scillamännle in immer mehr Stuttgarter Herzen. Die Kultur „von unten“ ist durchaus quicklebendig – und sie verbindet sich zunehmend mit den Interessen der jungen Stuttgarter Kunstszene, die Grenzen zwischen den Disziplinen neu zu bestimmen.
Vor Corona überzeugte Stuttgart mit seinem kulturellen Angebot
Ein Rückblick: Bis die Pandemie auch der Kultur eine Vollbremsung verordnete, von der sich gerade die für das Gefüge einer Stadt so wichtigen kleinen und kleinsten Angebote nur schwer erholen, schaute die Republik mit einigem Neid auf Stuttgart. Nicht München, Frankfurt oder Berlin standen im Kulturhauptstadt-Ranking der Hamburger Privatbank Berenberg ganz oben, sondern Stuttgart. Warum? Stuttgart überzeugte auch mit den meisten verkauften Tickets (4,2 Millionen jährlich) für Konzerte, Kino, Musiktheater, Schauspiel, Lesungen, Vorträge, Ballett, Ausstellungen und vieles mehr. Und so macht es auch den „Kleinen“ Mut, wenn die Staatstheater mit Oper, Ballett und Schauspiel mit 425 000 Besucherinnen und Besuchern in der Saison 2022/2023 mehr Nachfrage vermelden können als in der Vor-Corona-Saison 2018/2019.
Da passt manch glücklicher Neustart in den Stadtteilen ins Bild. Schnell etwa ist das 2022 wieder eröffnete Hölzel-Haus in Degerloch (6,53 Zufriedenheitspunkte) zu einem Impulsgeber geworden. Nicht weniger bedeutsam für die Stadtteile sind die Angebote der Kirchenmusik – etwa in Gaisburg im Stuttgarter Osten (5,89 Zufriedenheitspunkte). Und die Kirchenmusik hat auch ihren Anteil, wenn die Zufriedenheitspunkte im Stuttgarter Westen auf 6,85 klettern. Auch ein vielfältiges Theater- und Kleinkunstangebot sorgt für gute Stimmung, und die zunehmende Zahl privater Galerien beflügelt das urbane Lebensgefühl „im Westen“ mit.
Führend im Ranking in der Kategorie Kultur & Freizeit ist in unserer Umfrage Stuttgart-Mitte. 7,68 Punkte werden hier erreicht. Tatsächlich sind die Dichte wie die Qualität des Kulturangebotes im Zentrum weithin einmalig. Umso spannender sind Verschiebungen – etwa hin zur Erinnerungskultur. Und aufs Schönste verbinden sich Kultur und Freizeit, wenn das Delphi-Kino in der weitgehend autofreien Tübinger Straße immer mehr zu einem Treffpunkt wird.
Von Position 13 an (Birkach mit 5,68 Punkten) liegen die Werte unter dem Zufriedenheitsdurchschnitt von 5,78 Punkten. In Zuffenhausen mit 4,46 Punkten gibt es am meisten Luft nach oben in Sachen Kultur & Freizeit. Wie ein Gegensteuern aussehen kann, zeigt das Beispiel Bad Cannstatt – am 16. September etwa in Verbindung mit dem „Current“-Festival das Projekt „Bad Cannstatt erzählt“ mit Live-Interviews in der Marktstraße. Das Ziel: Über Teilhabe und Wissenssicherung die Identifikation mit dem eigenen Lebensumfeld zu stärken. Ebenso spannend: Das intensive Ausschwärmen von Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittlern in die Stadtteile – perfekt vorgeführt von Gauthier Dance-Chef Eric Gauthier mit seinem Projekt „Moves for Future“.