Hommage an die Literatur – Köpfe an der Wand der Distel-Lit-Lounge Foto: Fritz-Kador

Der Distel-Verlag in Heilbronn publiziert nicht nur Bücher, sondern ist auch Restaurant, Bar und kultureller Treffpunkt. Und ein Kind der 68er.

Heilbronn - In einer kleinen Gasse in der Heilbronner Innenstadt – der Sonnengasse – hat der Distel-Verlag sein Domizil. Der Name ist kein Zufall: Denn eine Distel ist zäh, sticht und hat eine interessante Blüte. Der Verlag ist ein Kind der 68er, nicht ungezogen, dafür auf stille Art effektiv. Seiner Gründung lag kein Businessplan zugrunde, sondern eine Weltanschauung. Im gleichen Haus befindet sich, quasi als Folgeerscheinung, die Distel-Lit-Lounge, wo man in stylischem Ambiente bei anspruchsvoller Küche zwischen vollen Bücherregalen und unter Porträts von Che Guevara und Karl Marx sinnieren und dinieren kann.

Irgendwie ist Marion von Hagen, die auch dank ihrer wirtschaftlichen Situation im 1980 sehr bürgerlichen Heilbronn den linken Verlag gegründet hatte, es hinbekommen, dass „links sein“ Haltung ist und nicht automatisch ein Konflikt zwischen Haben und Sein. Bei der Gründung war ihr Lebensgefährte Uli Dieterich dabei und die früh verstorbene Freundin Carmen Tabler. Die Buchhändlerin gehörte zu den Heilbronnerinnen, die sich schon als Schülerin politisch exponiert hatten, unter anderem in der Friedensbewegung.

Damals war noch nicht abzusehen, dass der Distel-Verlag später zu einer anerkannten Größe im Genre Krimi werden würde, man verlegte zunächst (und teilweise bis heute) Autoren wie Wolfgang Abendroth, bei dem Marion von Hagen Politische Wissenschaften studiert hat. Programm waren soziale Bewegungen und Umbrüche, Antifaschismus und Friedenspolitik, publiziert wurden systemkritische Bücher von Reinhard Kühnl, Frank Deppe, Georg Fülberth und Christoph Butterwegge.

Günther Grass und Luise Rinser kamen nach Heilbronn

Es war eine klar definierte Linie, auch hin zur Heilbronner Friedensbewegung, die in dieser Zeit dort besonders präsent war, da die USA auf der streng abgeschotteten Waldheide am Stadtrand nuklear bestückte Pershing-Raketen stationiert hatte. Erst als hier bei dem Raketenunglück im Januar 1985 drei GIs ums Leben kamen, erfuhr man in der Stadt davon. In der Folge kamen literarische Größen wie Günther Grass, Luise Rinser, Robert Jungk und Horst-Eberhard Richter nach Heilbronn. Das gab auch dem Verlag Aufschwung. Sich mit Antifaschismus, der durch die Gewerkschaften neu definierten Sozialpolitik und der Friedenspolitik der Bundesregierung auseinandersetzen, hatte sich in späten 80er Jahre allerdings totgelaufen.

Im Zuge der Neuorientierung – Zufall oder Glücksfall – kam Marion von Hagen auf der Frankfurter Buchmesse mit dem renommierten französischen Verlag Gallimard in Kontakt. Ohne Umschweife vertraute man der jungen unbekannten deutschen Verlegerin die Krimi-Sparte an, vor allem die der „Série noire“, die damals das Genre aufmischte. Bis 2010 dauerte diese Zusammenarbeit. 2003 erhielt der seit 1999 als „DistelLiteraturVerlag“ firmierende Verlag den Deutschen Krimipreis für die Werkausgabe des französischen Autors Jean-Patrick Manchette.

In der Literaturszene ist der Verlag kein Geheimtipp mehr

Seither verlegt Marion von Hagen vor allem Krimis aus dem französischen und spanischen Sprachraum – neben Manchette Léo Malet, Chantal Pelletier, Jean-Bernard Pouy, Didier Daeninckx und Tito Topin, die Kultstatus haben, die aber auch der deutsche Kenner schätzt. Einige der Autoren sind längst Freunde geworden, kommen gelegentlich zu Lesungen nach Heilbronn. Der letzte Topin-Krimi („Exodus aus Libyen“) thematisiert die explosive Lage in Nordafrika vor dem Sturz Gaddafis. Ein Geheimtipp ist der Distel-Verlag in der Literaturszene schon lange nicht mehr, in Heilbronn selbst noch eher.

Das intellektuelle Heilbronn aber hat an den Wochenenden in der Distel-Lit-Lounge seinen Treffpunkt: Hier kann man auf dem literarisch vorgegebenen Niveau essen, trinken, diskutieren und in einem Separee kubanische Zigarren rauchen. Und auch da ist Marion von Hagen konsequent: Weinmetropole Heilbronn hin oder her, sie schenkt nur Weine aus Herkunftsländern ihrer Autoren aus. Bleibt die Frage nach dem wirtschaftlichen Erfolg dieses besonderen Literaturhauses: Marion von Hagen zuckt dann mit den Schultern und lächelt.