„Wenn ich ein paar Tage nicht da bin, vermissen mich die Vögel“, sagt Linde Albrecht. Die 91-Jährige besitzt einen Garten von wilder Schönheit. Foto: Fritz-Kador

In 50 Jahren hat Linde Albrecht in Heilbronn eine blühende Pracht geschaffen. Der Garten hat Wengerterhäuschen. Dort übernachtet sie sogar machmal.

Heilbronn - Die Geschichte von Lindes wunderbarem Garten fängt am 4. Dezember 1944 an, dem Tag, an dem Heilbronn zerstört wurde. Linde Albrechts späterer Mann aus der Wengerterdynastie Albrecht, verlor seine Frau und Kinder. Linde, auch eine geborene Albrecht, kam 1946 durch die Heirat mit ihm an einen aufgelassenen Weinberg. Erst wurden Brettacher Äpfel angepflanzt, dann Gemüse und Blumen – und das seit nun 50 Jahren. In der Tradition der Bauerngärten, mit oft ungezähmter Flora und eigenwilligem Schönheitssinn hat sie einen Gartenraum geschaffen, der ein Gartentraum wurde. Ihr Mann starb früh, seither lebt sie für ihren Garten und lebt der Garten durch sie. Eigentlich heißt sie Friedlinde mit Vornamen, sie gehört zum „Friedlinden-Club“ der Staatssekretärin Gurr-Hirsch.

Wilde Schönheit

Wann ist es hier am schönsten? Wenn man durch noch kahle Obstbäume und Sträucher auf Heilbronn und die Weinberge blickt, während zu Füßen schon Schneeglöckchen, Tulpen, Narzissen und Osterglocken blühen? Oder im Frühsommer, wenn der Garten fast in der Pracht von blühenden Rosen, Päonien und Iris untergeht? Oder im Sommer? Kein mit dem Lineal am Reißbrett gezogener Plan, kein ästhetisches Konzept gibt es hier, dieser Garten hat eine über Jahrzehnte gewachsene Struktur und eine wilde Schönheit. Bewusst angelegt ist nur der Mittelweg, auch als Sichtachse hinunter nach Heilbronn, von fünf üppig berankten Rosenbögen überspannt, durch die man auf den Turm der Kilianskirche sieht.

Wer diesen Garten betritt, betritt auch ein Museum. Auch die Iris sind hier mehr als meterhoch, die Blüten groß, wildgezackt, schöner als jede Orchidee, von fast Schwarz, allen Blautönen, bis hin zu Zitronengelb und Aprikose. Es sind mindestens 20 Sorten. Jedes Gewächs hat hier Lebens- und Standortrecht, auch bei Selbstaussaat. Gerade diese oft zufällig entstandenen Arrangements erinnern in ihren kühnen Farbkompositionen an Blumenbilder alter Meister: orangeroter Klatschmohn neben tief pinkfarbenen Pfingstrosen.

Die empfindliche weiße Schneewittchenrose, eine von etwa hundert Rosenstöcken, wollte aufgeben. Linde Albrecht hat sie radikal heruntergeschnitten, jetzt ist sie wieder ein Prachtbusch. Zimperlich ist sie nicht, nicht im Umgang mit Pflanzen und auch nicht mit sich. Trotz ihrer 91 Jahre und ihrer eingeschränkter Beweglichkeit ist sie fast jeden Tag in ihrem Garten. Sie wundert sich immer noch, was auf dem Keuperboden alles wächst, der nur Regenwasser bekommt. Die kleinen Terrassen auf dem abfallenden Gelände stützen Mäuerchen aus in den Weinbergen gefundenen Steinen, sie sind überwachsen von Sukkulenten, manche nur stecknadelkopfgroß, dazwischen viele kleine Wassertümpel, wo unter der Entengrütze Gelbbauchunken quaken oder Seerosen schwimmen. Schmetterlinge fehlen nicht, auch für ihre Larven gibt es eine Vorrichtung.

Pflege wie vor 50 Jahren

„Wenn ich ein paar Tage nicht da bin, vermissen mich die Vögel“, sagt Linde Albrecht: Spatzen, Meisen, Amseln; auch Goldammer, Rotkehlchen, Rotschwänzchchen, Buchfinken, Kleiber und Kreuzschnabel sind Gäste, ihnen allen gehört auch das Obst an den Bäumen. Weinbergpfirsiche und Mirabellen, Himbeeren, Walderdbeeren und Stachelbeeren werden geerntet und oft verschenkt. Gedüngt wird wie vor 50 Jahren: mit Blaukorn und Hornspänen.

Wer das 22 Ar große Areal durchstreift, erfährt auch Linde Albrechts Gartenweisheit, ein Lebensmotto, mit dem sie alt geworden ist: „Tun, was getan werden muss!“ – und die Einsicht, dass oft die schönsten Dinge entstehen, wenn man ihnen ihren Lauf lässt. Und was ist für sie am schönsten? Wenn sie, nachdem sie völlig angstfrei im Wengerthäuschen übernachtet hat, morgens bei Sonnenaufgang auf ihre Heimatstadt schauen kann.