Scholz hat einen kritischen Blick auf Netanjahu. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Beim Besuch des israelischen Regierungschefs spricht der Kanzler von seiner Sorge um die liberale Demokratie des „Wertepartners Israel“. Wie reagiert sein Gast auf die ungewohnten Töne?

Eng, vielfältig, einzigartig – das sind die Worte, die Olaf Scholz für die deutsch-israelischen Beziehungen findet. Einzigartig wegen des Holocausts, wegen der deutschen Geschichte. Das sei eine immerwährende Verpflichtung, jüdisches Leben in Deutschland zu stärken.

Olaf Scholz sagt alles, was von einem Bundeskanzler erwartet wird, wenn er einen israelischen Regierungschef erwartet. Aber es fallen auch ungewohnt deutliche Worte der Kritik an Israel – auch wenn Scholz sie in seiner üblichen leisen, buchhalterischen Art vorträgt.

Soll der Bundeskanzler den israelischen Premier empfangen?

Der Kanzler äußert sich zur israelischen Justizreform. „Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam – und das will ich nicht verhehlen: mit großer Sorge“, sagt Scholz, während Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Kanzleramt neben ihm steht. Und: „Unser Wunsch ist, dass unser Wertepartner Israel eine liberale Demokratie bleibt.“ Scholz erklärt, er wünsche sich, dass über den jüngsten Kompromissvorschlag des israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog „das letzte Wort noch nicht gesprochen ist“. Es ist ein Vorschlag, den Netanjahu bereits abgelehnt hat.

Es gibt Tage, an denen sich Fragen stellen, die sich sonst nie stellen würden. Am Donnerstag ist so ein Tag. Soll ein deutscher Bundeskanzler einen israelischen Premier empfangen? Scholz hat sie offenkundig mit Ja beantwortet. Er hat mit dem israelischen Premier Netanjahu im Kanzleramt gesprochen und zu Mittag gegessen. Die Frage, wie man mit Benjamin Netanjahu auch als deutscher Regierungschef derzeit umgehen sollte, beantwortet er für sich auch – mit der Bereitschaft zu freundlich vorgetragener, aber eindeutiger Kritik.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte vorab mitgeteilt, dass sich der Kanzler auf den Besuch des israelischen Premiers freue. Das glaubt niemand – auch wenn man Scholz nicht so leicht ansieht, ob er sich freut oder nicht. Aber eine Idee, wie er mit der Herausforderung durch Netanjahus Besuch umgehen soll, hatte der Kanzler offenbar. Seine Strategie: Scholz stellt Gemeinsamkeiten heraus, etwa bei der Frage des iranischen Atomprogramms. Aber er macht eben auch klar, wo er Probleme sieht. Heikel war die Visite des israelischen Kollegen für den Bundeskanzler in diesen Tagen allemal.

Rund 1000 israelische Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler hatten in einem Brief an die Botschafter Deutschlands und Großbritanniens gefordert, die beiden Länder sollten Benjamin Netanjahu nicht in Berlin und London empfangen. Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und „auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur“, zitierte die Zeitung „Haaretz“ aus dem Brief an die Botschafter.

Selbst Steinmeier äußert sich kritisch

Scholz liegt mit seinen kritischen Worten auf einer Linie mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der bereits vor einigen Tagen Kritik geäußert hat. Ungewöhnlich genug für einen Bundespräsidenten. Noch ungewöhnlicher für den Überdiplomaten Steinmeier, der zu seinen Außenministerzeiten oft das eindeutige Wort mied.

Die Justizreform ist ein zentrales Projekt von Netanjahus rechts-religiöser Regierung. Durch sie soll das Parlament unter anderem die Möglichkeit bekommen, Entscheidungen des Obersten Gerichts zu überstimmen. Kritiker sehen die Gewaltenteilung als Eckpfeiler der Demokratie in Gefahr.

Es soll deutlich schwerer werden, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Dies könnte Regierungschef Benjamin Netanjahu wegen des Korruptionsverfahrens, das gegen ihn läuft, nützen. Seit Wochen gibt es in Israel Massenproteste gegen die Reform. Das Land droht zu zerreißen.

Netanjahu begreift den Besuch als Werbetour

Und was tut Netanjahu in Berlin? Er präsentiert sich gut aufgelegt – und als einer, der in eigener Werbetour unterwegs ist. Er wischt bei der Pressekonferenz alle Kritik an der Justizreform lächelnd weg. „Die Anschuldigung, dass wir einen Bruch mit der Demokratie eingehen, stimmt nicht“, sagt Netanjahu. Er könne Scholz versichern: Israel sei und bleibe eine liberale Demokratie. Er könne noch stundenlang darüber reden, wenn es gewünscht sei, sagt er. Das jedenfalls glaubt man ihm sofort.