Die Passivhaussiedlung spart viel CO2 ein – aber die Bewohner fahren laut dem Verkehrsclub so viel Auto, dass diese Bilanz Makulatur ist. Foto: dpa

Ausgerechnet im gerühmten Heidelberger Ökoquartier Bahnstadt gibt es besonders viele Autos. Der Verkehrsclub Deutschland kritisiert dies und fordert eine „ehrliche Klimabilanz“.

Heidelberg - Im Heidelberger Rathaus ist man mächtig stolz auf die Bahnstadt, das neue Quartierauf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs. Als „größte Passivhaussiedlung“ der Welt macht sie national und international Schlagzeilen, seitdem 2012 die ersten Bewohner in den rasant wachsenden Stadtteil westlich des Hauptbahnhofs gezogen sind. Wann immer die Stadt ihre ökologischen und energiepolitischen Erfolge aufzählt, nennt sie die Bahnstadt mit als Erstes. „Wir zeigen, dass Wachstum ohne Klimaschäden möglich ist“, sagte der Heidelberger Oberbürgermeister Eckart Würzner auf dem internationalen Klimagipfel von Bund und Land Ende Mai in Heidelberg wieder.

Doch nun gießt der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Wasser in den Wein. Das CO2, das durch die Passivhäuser im neuen Stadtteil eingespart werde, „kommt ziemlich genau durch die Abgase am Auspuff wieder heraus“, stellte Felix Berschin, der Sprecher des VCD-Regionalverbands, nach einer Verkehrszählung seines Verbandes fest. Trotz der Nähe des Bahnhofs werde in dem neuen Stadtteil überdurchschnittlich viel Auto gefahren, sagte er und forderte die Stadt auf, sie solle „eine ehrliche Klimabilanz“ der viel gelobten Passivhaussiedlung erstellen.

Ökostadt-Bewohner fahren mehr Auto als andere

Zwar werde durch die Passivhäuser im Vergleich zu Niedrigenergiehäusern pro Einwohner und Jahr so viel Energie gespart, wie es dem Verbrauch von 227 Liter Diesel entspricht. Aber allein durch die täglichen Fahrten der Auspendler würden auf der anderen Seite pro Jahr und Einwohner statistisch betrachtet 162 Liter Kraftstoff verbraucht. Hierzu komme der weitere Verbrauch durch einen überdurchschnittlich hohen Autobesitz in dem neuen Stadtteil. Nach Angaben des VCD kommen in der Bahnstadt auf 1000 erwachsene Bewohner 482 Fahrzeuge. In der Heidelberger Altstadt sind es 345, und selbst in dem – von der Innenstadt deutlich weiter entfernten – größten Stadtteil Kirchheim kommen auf 1000 Erwachsene nur 421 Autos.

Fast die Hälfte ihrer Wege, nämlich 47 Prozent, legen die Bahnstadtbewohner nach den Zählungen des VCD per Auto zurück. Damit liegen sie deutlich über dem Durchschnitt der Heidelberger, die auf 29 Prozent kommen. Offenbar seien – trotz des Ökoimages des Stadtteils – auch in der Bahnstadt „Autobesitz und Autonutzung vor allem Ausdruck der verfügbaren Einkommen“, meint der VCD-Sprecher.

„Stiefmütterlicher Umgang mit Fuß- und Radwegen“

Allerdings habe die Stadt auch selbst zu dieser „klimapolitischen Fehlleistung“ beigetragen, stellt Berschin fest. So hätten die Wohnungen der Bahnstadt als bezugsfertig gegolten, wenn die Tiefgarage fertig gewesen sei, die Fuß- und Radwegeinfrastruktur werde hingegen bis heute „sehr stiefmütterlich behandelt“, kritisiert er. Für den Radverkehr in Richtung Stadtzentrum gebe es nur Restflächen, die Straßenbahn sei erst fünf Jahre nach dem Erstbezug fertiggestellt worden. Dafür gebe es viele Autostellplätze. Weil die Stadt es versäumt habe, die begehrten Wohnplätze in dem Stadtteil bevorzugt an Einpendler zu vergeben, die in Heidelberg arbeiten, sei die Bahnstadt „zu einem Auspendler-Stadtteil par excellence“ geworden, stellte der VCD-Sprecher fest.

Die Stadt hat dem inhaltlich nicht allzu viel entgegenzusetzen. Man weise die Kritik des Verkehrsclubs an der Verkehrsplanung zurück, teilte eine Sprecherin auf Antrage mit. Eine Steuerung des Zugzugs durch eine Bevorzugung von Einpendlern bei der Wohnungsvergabe sei nicht möglich, weil sie gegen das Gebot der Gleichbehandlung verstoßen würde.