Eine Ex-Mitarbeiterin hat dem Verein einen Pflege-Oscar verliehen Foto: Przybilla

Ambulante Pflegekräfte, die nur mit dem Rad unterwegs sind? In Heidelberg gibt es das seit langem. Obwohl der Verein mit dem Verzicht auf Dienstautos Zeit, Geld und Nerven spart, gibt es kaum Nachahmer.

Heidelberg - Wenn Ursula Klische vor die Tür geht, überlässt sie nichts dem Zufall. Sie trägt eine leichte Sommerjacke, einen Haarreif und hat etwas Lippenstift aufgetragen. Dass sie 80 Jahre alt ist, sieht man ihr nicht an. „Schön, dass Sie schon da sind“, sagt die Seniorin, als ihre Pflegerin bei ihr klingelt. Die Frauen haken sich ein, dann geht es Schritt für Schritt die Treppe hinunter.

Die Pflegerin, die so pünktlich vor der Tür steht, heißt Asta Wünsche. Zu spät kommt sie fast nie, und das hängt mit dem Verkehrsmittel zusammen, das sie benutzt: ihr eigenes Fahrrad. „Viele Pfleger brauchen ewig, um einen Parkplatz zu finden“, sagt sie. „Diese Zeit nutzen wir lieber für unsere Klienten.“ Wünsche wirkt nicht abgehetzt. Mit Helm und Rucksack sieht sie ganz anders aus, als man sich landläufig eine Pflegekraft vorstellt. Und das ist gewollt: „Wir sind ganz normale Menschen, also tragen wir auch keine Kittel“, sagt Wünsche.

Über die Zivilkleidung wundert sich kaum jemand, über das Verkehrsmittel schon. „Selbst leidenschaftliche Mountainbiker können sich nicht vorstellen, wie das in unserem Beruf funktioniert“, sagt Wünsche. Dabei hat sich das Konzept schon lange bewährt: Seit 20 Jahren arbeitet der Heidelberger Pflegedienst „Frauen pflegen Frauen“ mit Fahrrädern. An schlechten Tagen fahren die zehn Mitarbeiterinnen mit Regenhose, Regenjacke und Helmüberzug los, an heißen Tagen haben sie eine zusätzliche Flasche Wasser im Gepäck. Bis zu 25 Kilometer sind die Pflegerinnen pro Tag unterwegs – geschadet hat es ihnen nicht. Der Krankenstand bei „Frauen pflegen Frauen“ ist seit Jahren extrem niedrig.

Das Büro der kleinen Firma liegt in einem Hinterhof in der Nähe des Heidelberger Hauptbahnhofs. Im Eingangsbereich stehen mehrere Fahrräder. „Das ist wie im Schwarzwald – vorne stehen die Arbeitstiere“, sagt Claudia Köber, die den Pflegedienst vor 20 Jahren mitgegründet hat. Die meisten Mitarbeiterinnen, erklärt Köber, greifen auf ihre Diensträder zurück. Andere – wie Asta Wünsche – bringen ihr eigenes Rad mit. Viel Gepäck haben die Pflegerinnen auf ihren Touren nicht. „Die meisten Utensilien befinden sich bei den Klienten“, sagt Köber. „Was wir immer dabei haben, sind Luftpumpen und Reifen-Reparatur-Sets.“

Als „Frauen pflegen Frauen“ gegründet wurde, spielte der Umwelt-Aspekt die Hauptrolle. Inzwischen hat sich der Verzicht auf Autos aber auch finanziell ausgezahlt, sagt Köber: „Ein Betrieb unserer Größe bräuchte normalerweise drei oder vier Autos. Mit Benzin, Versicherungsbeiträgen, Steuern und Wartungskosten kämen da schnell ein paar Tausend Euro zusammen.“

Trotz aller Euphorie sind dem Zweirad aber auch Grenzen gesetzt. Die Bergstadtteile von Heidelberg bedient der Pflegedienst nicht. „Bei Glatteis und Schnee haben wir richtig zu kämpfen“, gibt Claudia Köber zu. „Aber da haben natürlich auch Autos Probleme.“ Hat sie die Arbeit auf dem Fahrrad jemals bereut? „So richtig nie“, sagt Köber, während Asta Wünsche ebenfalls den Kopf schüttelt.

Früher, erzählt Wünsche, habe sie im Krankenhaus gearbeitet. „Da ging es von einem Zimmer ins andere, Stress pur. Heute bekomme ich den Kopf frei, wenn ich von einem Klienten zum nächsten radle.“

Der Alltag scheint den Frauen aus Heidelberg also Recht zu geben. Dennoch gelten sie auch heute noch als Exoten, so wie vor 20 Jahren. In Hamburg, Berlin und Köln gibt es ambulante Dienste, die ebenfalls per Fahrrad unterwegs sind. In Baden-Württemberg hat hingegen noch niemand das Konzept kopiert – dabei wird es auf dem landeseigenen Informationsportal zur Radverkehrsförderung sogar prominent beworben.

Während in Tübingen, Mannheim oder Stuttgart bereits Buchhandlungen oder Stadtverwaltungen auf Lastenräder setzen, bildet der Heidelberger Pflegedienst in seiner Branche eine Ausnahme. Selbst beim Deutschen Pflegerat wundert man sich über die radelnden Pflegerinnen. „Zuerst habe ich gedacht, das sei ein Scherz“, sagt Präsidiumsmitglied Thomas Meißner. „Aus ökologischer Sicht kann ich das nachvollziehen“, sagt er, „aber man sollte auch an die Arbeitsbedingungen denken.“

Der Transport von Verbandsmaterial, Messgeräten und Dokumenten sei anstrengend, gibt der Funktionär zu bedenken. Deshalb könne ein ambulanter Pflegedienst ohne Autos nur in Ausnahmefällen funktionieren. „Außerdem sitzt doch niemand gerne auf dem Sattel, wenn es hagelt, blitzt und schneit“, betont Meißner. Die Damen von „Frauen pflegen Frauen“ würden da sicher widersprechen.